Steil gehen am Corn Suvretta

Steil gehen am Corn Suvretta

Marina Kraus
Marina Kraus
Veröffentlicht: vor 4 Jahren
Aktualisiert: vor 2 Monaten
Geschätzte Lesezeit: 10 Minuten

Kein Wind, blauer Himmel, Sonnenschein und immerhin mehr Schnee als zu Hause (wir lassen die Qualität mal aussen vor). Hört sich doch gut an, oder? Das finden wir auch und steigen trotz der angezeigten -12°C an der Alp Güglia, kurz unterhalb des Julierpass, aus dem warmen Auto aus.

Der Parkplatz wurde vor kurzem wunderschön freigeräumt, was allerdings dazu führt, dass die netten kleinen Schneetreppchen, die gestern über die Leitplanke geführt haben, jetzt weggefräst sind. Unsere Skitour beginnt für mich (mit meinen kurzen 164 cm) also mit einer kleinen ungelenken Klettereinlage auf die ca. einen Meter hohe Schneedecke. 😄 Zum Glück war die Kamera noch nicht parat.

Wärmende Sonnenstrahlen über dem Piz Polaschin
Wärmende Sonnenstrahlen über dem Piz Polaschin
Wärmende Sonnenstrahlen über dem Piz Polaschin

Zwischen den Flanken des Piz Valletta und des Botta dal Tiroler (Tiroler? Ja, Tiroler) folgen wir der Spur ins Valletta dal Güglia hinauf. Der Weg führt am Bachlauf entlang und ist dank der vielen Spuren erst einmal einfach zu finden. Falko widmet sich während des weiteren Aufstiegs dem Fotoapparat und der GoPro, während ich meine heutigen Leihski ausgiebig teste. Leicht sind die Dinger nicht wirklich, aber im Gegensatz zu meinen eigenen Adhäsionsfellen halten die Klebefelle, die ich zum Leihski bekommen habe, bei den kalten Temperaturen schon mal besser (die Vorteile schnell zu verstauender Adhäsionsfelle werde ich in Zukunft an windigen Gipfeln sicher noch vermissen). Aber wichtiger als die Felle ist die Bindung. Ich bin mit meiner bisherigen Fritschi Vipec seit dem ersten Tag an nicht zufrieden gewesen und teste deshalb nun eine ATK Pinbindung (im Laden wird es dann später aber doch die ultrabewährte Standardbindung von Dynafit werden 😉).

Bewegung gegen die Kälte
Bewegung gegen die Kälte

Zurück zur Tour. Den Piz Julier lassen wir rechts liegen, während wir uns dem Corn Suvretta nähern. Im felsigen Bachlauf schlüpfen wir zwischen Muottin und Il Nes hindurch, bevor wir uns rechts haltend auf die Fuorcla Chamoutsch zu bewegen. Da wir aber nicht in den Sattel wollen, halten wir uns auf 2900 m.ü.M. nach links und queren zum Felsband, das uns jetzt als letzte ‚Bastion‘ vom letzten Gipfelhang des Corn Suvretta trennt.

Spitzkehren!
Spitzkehren!
Spitzkehren!

Bis hier war die Tour gemütlich und einfach. Angenehme Steigung, leicht zu gehen, keine technischen Schwierigkeiten – ein Fuss vor den anderen. Als nächstes steht allerdings ein ca. 100m langer und 30-35° steiler Hang auf dem Programm. Angesagt sind also Spitzkehren im steilen Gelände, in einer von zackigen Felsen gesäumte Rinne. Genau mein Ding könnte man sagen.

Wie um alles in der Welt soll ich hier eine Spitzkehre machen???

Ich zweifle kurz, ob ich das machen will. Falko ist sich aber komischerweise sicher, dass ich das kann und stapft los. Mit Entlastungsabstand folge ich zweifelnd hinterher in Richtung der ersten Spitzkehre– Schritt, Schritt, Schritt, Podest treten, Stöcke setzen, Bergski rum, Gewicht verlagern, Talski rum und weiter – und siehe da, die ersten beiden Spitzkehren klappen schon mal ganz gut. Ich werde ein bisschen zuversichtlicher. Aber dann! Jetzt ist es plötzlich steiler, der Bergski will nicht so rum wie ich, ich stehe unsicher, meine Beine verkrampfen und der ganze Rest auch. Gewicht verlagern? Keine Chance. So kann ich doch jetzt keine Spitzkehre machen. Panik! Was mach ich denn jetzt? Ich komm hier nicht rum. „Ich kann dir von hier oben auch nicht helfen, stell dich nicht so an!“ kommt’s mir von oben entgegen. Das hilft mir jetzt leider auch nicht weiter. Hin und her, geht nicht. Mist. Also, Bergski zurück. Ausruhen und Luft holen. Dann nochmal, mittlerweile bin ich total verzweifelt und habe Angst. Dann klappt’s doch noch. Fünf Schritte Erleichterung, dann kommt die nächste schreckliche Spitzkehre und noch eine und noch eine… Und wie soll ich das dann abfahren? Den Gedanken schiebe ich jetzt mal schnell weg.

"Alles Mist!"
"Alles Mist!"
"Alles Mist!"

Nach gefühlt endlosen Höhenmetern wird es dann endlich flacher und die Spitzkehren fallen mir wieder leichter. Dann sind wir in fast ebenem Gelände und kurz vor dem Gipfel des Corn Suvretta. 30 Meter vor unserem Ziel machen wir ein kleines Skidepot und stapfen hinüber zum Gipfel – geschafft! Endlich mal wieder ein 3000er! Mehr als die Höhenmeter hat allerdings im Aufstieg die Angst meine Kräfte geraubt. Panik am Berg ist einfach anstrengend.

Panorama

Runter geht’s immer irgendwie

Unser Gipfelglück geniessen wir nur kurz. Wir wollen beide die Rinne in der Abfahrt hinter uns bringen und dann endlich eine entspannte Pause machen. Also zurück zum Skidepot, Felle versorgen und ab auf die Bretter. Bis zum Einstieg der Rinne ist es easy. Aber der erste Schwung im steilen Gelände kostet mich unendlich viel Überwindung. Aber er klappt (abgesehen von der fehlenden Eleganz 😉). Falko fährt die Rinne als erster und ich frage mich ununterbrochen, wie ich das jetzt machen soll. Als er unten ankommt gibt er mir ein Zeichen – also los. Ich fahre mit meiner Hopp–Strategie: jede Kurve mit einem lauten „Hopp“ als Aufforderung ansagen. „Hopp“ – nach rechts, „Hopp“ – nach links und so weiter. Klingt bescheuert – hier und auch im Gelände, aber es funktioniert. Mit einem einigermassen flüssigen Fahrstil kann ich die Rinne abfahren und nach einer Minute stehe ich schon wieder neben Falko – endlich Entspannung, endlich Pause.

Die restliche Abfahrt ist dann eher eine Mischung aus holprigem Bruchharsch und Spurgerutsche, weil das Gelände teilweise so flach ist. Trotzdem geniessen wir die Fahrt aus dem Valletta dal Güglia hinaus und hinunter zur Julierpassstrasse. Super Tour, schöner Gipfel und eine kleine Aufmunterung für mein Bergsteiger-Selbstbewusstsein.

Und die Belohnung? Natürlich süss und sahnig – Kaffee und Kuchen im Café Grond in Pontresina. Definitiv einen Besuch wert.

Zurück zu den Schatten
Zurück zu den Schatten
Marina Kraus

Marina Kraus

Product Designerin und Content Creator. Egal ob digital oder im „echten“ Leben, Marina ist überzeugt, dass es für richtig gute Erlebnisse auf die Geschichte dahinter ankommt. Die beste Inspiration für Content und digital Experiences holt sie sich unterwegs. Als digitale Teilzeit-Nomadin arbeitet sie mal von zu Hause und mal aus dem Van – mit Blick auf zerklüftete Küsten- oder Gletscherlandschaften.

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