Platsch! Sauber, denke ich mir. Und sauber dürfte er nun sein, mein Trailrunning-Schuh, mit dem ich gerade mittig in eine riesige Pfütze hineingelatscht bin. Denn leider hat es auf unserem Trailrun entlang der Bisse du Tsittoret mit Start in Crans Montana dann doch noch angefangen zu regnen. Und wer dicht hinter dem Vordermann (oder wie in diesem Fall der Vorderfrau) rennt, der sieht Pfützen erst, wenn er schon drin steht.
Crans Montana, 10 Uhr am Vormittag, die Sonne scheint – nicht. Eigentlich ist das ganz praktisch, denn bei strahlendem Sonnenschein auf der Südseite des Walliser Rhonetals entlang zu laufen ist normalerweise nur für ausgesprochene Hitze-Freaks empfehlenswert. Was wir beide definitiv nicht sind, denn sowohl Marina als auch ich kennen das Problem eines akuten Leistungseinbruchs bei hohen Temperaturen in der prallen Sonne nur zu gut. Daher sind wir ganz froh, dass der Himmel grau, die uns umgebenden Bäume grün und das plätschernde Wasser in der Bisse du Tsittoret glasklar ist, denn das bedeutet, dass wir auf unserem Lauf einen kühlen Kopf behalten können.
Nun sollte so eine Bisse ja eigentlich nur mit kaum wahrnehmbarem Gefälle von A nach B verlaufen. Unser Exemplar hier begrüsst uns allerdings erst einmal mit einigen kurzen, aber teilweise knackigen Anstiegen, die wir gar nicht erwartet hätten – aber irgendwo müssen die 450 Höhenmeter auf diesem Lauf ja herkommen.
Vom mondänen Ski- und Golfresort Crans Montana aus passieren wir idyllisch im Bergwald gelegene Chalets der oberen Preisklasse und haben aufgrund der Steigung kaum Gelegenheit, uns erst einmal warm zu laufen.
Auf rund 1'800 m Höhe hat die Bisse du Tsittoret dann jedoch eine Höhenlage gefunden, in der sie sich wohl fühlt und auch erst einmal verweilt. Ein kurzer Schwenk leitet uns über eine an dieser Stelle sehr willkommene kleine Holzbrücke, denn sonst müssten wir den gut gefüllten Bergbach zu Fuss durchqueren. Wir befinden uns nun oberhalb des Restaurant Plumachit und der Wanderweg entlang der Bisse du Tsittoret entspricht nun dem typischen Bild eines Walliser Suonenwegs: ein angenehm zu laufender Pfad mit geringer Steigung entlang eines plätschernden Bachlaufs, angelegt vor vielen Jahrhunderten zur Bewässerung tiefer gelegener Regionen.
Die Bisse du Tsittoret wurde vermutlich ungefähr im 15. Jahrhundert gebaut und leitete einen Teil des Wasser der Tièche vom natürlichen Bergbach weg und zu den zahlreichen Weinbergen rund um Sierre hin. Die trockenen Walliser Südhänge machten bereits früher die Bewässerung der Rebhänge und Wiesen zu einem äusserst aufwändigen Unterfangen. Das kühle Bergwasser der Bisse half bei der Wasserversorgung und einige dieser künstlichen Wasserkanäle werden teilweise noch heute genutzt. Im Gegensatz zu manchen anderen Suonen benötigt die Bisse du Tsittoret über weite Strecken keine aufwendigen Kunstbauten wie beispielsweise die Bisse du Ro oder die Bisse Torrent Neuf, welche stellenweise an überhängenden Felswänden entlang geführt wurden.
Für uns bedeutet diese unaufgeregte Wasserführung vor allem eines: ein entspanntes Dahinjoggen auf weichem Waldboden unter dichten Nadelbäumen. Dazwischen erhaschen wir gelegentlich einige Ausblicke durch die Baumstämme auf die gegenüber liegenden Walliser 4000er wie Bishorn und Weisshorn. Wir folgen der Bisse du Tsittoret entgegen der Flussrichtung und erreichen nun offene Alpwiesen, übersäht von unzähligen, in allen Farben blühenden Alpenblumen und kurz darauf die auf Deutsch etwas verfänglich wirkende Cave du Sex. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um eine Höhle für Liebesspiele, sondern um eine kleine Alpwirtschaft auf 1'873 m Höhe, die sowohl im Sommer wie auch im Winter geöffnet hat und mit einer sonnigen Terrasse hoch oberhalb des Rhonetals zu überzeugen weiss. Der Name wird auch häufig als Cave du Scex geschrieben, was sich vom frankprovenzalische Wort "Felshöhle" ableitet.
Wir lassen die Alpgebäude rechts liegen und erklimmen einige steile Meter auf einer hölzernen Treppe, immer neben der hier beinahe wasserfallartig verlaufenden Bisse du Tsittoret. Nun wird es stellenweise nochmals spektakulär, denn so zahm die Suone auch bisher verlief, so wild schmiegt sie sich hier an steile Felswände und sucht sich ihren Weg durch einen eindrücklichen Talkessel. Rund 100 Meter unter uns rauscht die Tièche, wir nähern uns also dem Zusammenschluss beider Gewässer. Vorher legt sich uns jedoch noch ein letzter steiler und schwer zu joggender Anstieg über rund 30 Höhenmeter in den Weg, der über recht hohe Stufen die letzte vertikale Distanz überwindet, die uns noch vom Beginn der Bisse du Tsittoret trennen. Rechts von uns stürzt die Tièche als Wasserfall in die Tiefe, links von uns plätschert die Suone ihrem rund acht Kilometer langen Weg entgegen – dem Weg, dem wir seit Crans Montana bis hierher auf unserem Trailrun gefolgt sind und der nun hier sein Ende findet, auf 1'951 m Höhe an einer kleinen Brücke, die den Beginn der Wanderwege in Richtung Trubelstock markiert.
Nebst unserem Hinweg hat nun auch das bis anhin trockene Wetter ein Ende und während wir uns eine kleine Pause gönnen, beginnt es zu regnen. Die Wolken haben sich zu schweren, regenschwangeren grauen Unholden zusammengeballt und die Aussicht in den gewaltigen Talkessel zwischen Mont Bovin, Les Faverges und Nuseyhorn bleibt uns leider verwehrt. Bereits nach wenigen Minuten treten wir daher unter tropfenden Baumdächern den Rückweg an, der uns auf der selben Strecke wieder nach Crans Montana führen wird. Ursprünglich hatten wir eine andere Variante für den Rückweg geplant, die wir aber aufgrund der dichten Wolken verwerfen und uns lieber, soweit möglich, unter dem natürlichen Blätterdach der die Suone säumenden Bäume aufhalten.
Kilometer um Kilometer verrinnt im stummen Trott, jeder hängt seinen Gedanken nach und dabei achte ich nicht allzu genau auf den Weg vor mir. Was mir schlussendlich doch noch klatschnasse Füsse einbringt, als ich kurz vor Crans Montana in eine riesige Pfütze hineintrete, kommentiert von Marina mit einem jovialen "Na? Reingetreten?". Aber was soll's, in wenigen Minuten erreichen wir die ersten Häuser und stellen fest, dass wir trotz des Regens noch Glück gehabt haben, denn als wir das Auto erreicht haben und im Trockenen sitzen, fängt es richtig an zu schütten. Also alles richtig gemacht und eine weitere spannende und kurzweilge Laufstrecke an einer Walliser Suone kennengelernt – knappe 15 Kilometer Trailrunning-Freuden mit rund 450 Höhenmetern in wunderschöner Umgebung. Läuft.