Ryten und Kvalvika - Wandern auf den Lofoten

Ryten und Kvalvika - Wandern auf den Lofoten

Marina Kraus
Marina Kraus
Veröffentlicht: vor 2 Wochen
Aktualisiert: vor 2 Wochen
Geschätzte Lesezeit: 10 Minuten

Der Ryten ist einer der beliebtesten Wanderberge auf den Lofoten. An der Westküste und im Lofotodden Nationalpark gelegen punktet dieser langgezogene Gipfel mit einer fantastischen Rundumsicht, wunderbarer Natur und natürlich dem Abzweig zum weltweit bekannten Kvalvika Strand. Klingt überzeugend und so haben wir unsere Fotoausrüstung und GoreTex Jacken in die Rucksäcke gepackt und uns auf den Weg gemacht.

Auf dem Holzweg
Auf dem Holzweg
Der Wanderweg auf den Ryten ist ausserordentlich gut ausgebaut und nicht zu verfehlen.
Auf dem HolzwegDer Wanderweg auf den Ryten ist ausserordentlich gut ausgebaut und nicht zu verfehlen.

Fast einsam - Bucket-List Gipfel in der Nebensaison

An diesem Tag im Mai machen wir uns auf den Weg nach Fredvang und entscheiden uns für den Parkplatz auf dem Bauernhof am Ende der Strasse. Heute ist nicht viel los, das Wetter ist grau, es weht ein kalter Wind und wir müssen sogar mit Regen rechnen. Nicht der Traumtag für einen Traumberg. Wir haben uns aber bewusst für einen Lofotenaufenhalt zu dieser Jahreszeit entschieden, denn wo sich im Sommer massenweise Touristen drängen, der Parkplatz voll mit Autos steht und an jedem freien Platz ein Wohnmobil geparkt ist, herrscht Anfang Mai noch gähnende Leere. Nicht einmal zehn Autos bevölkern den Parkplatz, der Besitzer, der die Parkgebühr einkassiert, ist eigentlich gerade mit Renovierungsarbeiten für die anstehende Saison beschäftigt und bei so wenig Andrang nimmt er sich sogar die Zeit, um sich mit mir zu unterhalten. Was mich interessiert sind natürlich die Menschenmassen, die im Sommer die Lofoten bevölkern.

Er erzählt mir, dass pro Jahr rund 50’000 Besuchern jährlich hier her kommen, um den Ausflug auf dem Ryten zu machen. Der Wanderberg steht also ganz weit oben auf der Bucket-List vieler Lofoten-Besucher. Das liegt vermutlich auch daran, dass der Berg leicht erreichbar, der Aufstieg moderat, die Naturerlebnisse einmalig und das Panorama einfach nur wahnsinnig schön ist. Die Einwohner von Fredvang und vermutlich vieler anderer Gemeinden auf den Lofoten sind bezüglich der Touristen geteilter Meinung. Da gibt es die, die den ganzen Rummel um ihre Inseln einfach ignorieren und schlicht ihrem eigenen Kram nachgehen. Dann gibt es die, wie er selbst einer ist, die von dem grossen Interesse an den Lofoten profitieren. Mit der Parkplatzvermietung verdient er schliesslich seinen Unterhalt und “Geld braucht nunmal jeder”, so eine Aussage, mit einem Lachen im Gesicht. Aber es gibt auch die, die lieber alles so hätten wie früher, denen die vielen Menschen und die zunehmende Infrastruktur – seien es grössere Strassen, Parkplätze oder Unterkünfte - gegen den Strich gehen. Aber ein “zurück auf Null” wird es für die Lofoten wohl niemals mehr geben, es ist lediglich eine Frage des Umgang mit dem Andrang und dem gleichzeitigen Schutz dieser einmaligen Natur.

Der Blick gen Norden
Der Blick gen Norden
Das Nordmeer liegt heute ruhig und friedlich in strahlenden Blautönen da.
Der Blick gen NordenDas Nordmeer liegt heute ruhig und friedlich in strahlenden Blautönen da.

Zu viel Besucher?

Wir schultern unsere Rucksäcke und brechen auf. Während wir auf sorgfältig verlegten Holzplanken (mit markierten Ausweichbuchten ähnlich wie auf den schmalen Strassen) das sumpfige Gelände hinter dem Bauernhof überqueren und den ersten Anstieg erreichen, kreisen unsere Gedanken bereits. Bei mehreren Zehntausenden Besuchern pro Jahr stellen wir uns die Frage, wann viel einfach zu viel ist. Und trotz der einmaligen Landschaft, in der wir uns gerade bewegen, macht uns diese Tour bereits im Aufstieg sehr nachdenklich. Der Weg ist auf einer Breite von mehreren Metern ausgetrampelt und auch an den sumpfigen Stellen, auf die wir im weiteren Verlauf immer wieder treffen, sind über lange Strecken Holzbohlen verlegt, um die Vegetation zu schonen. Denn würden alle 50’000 Besucher durch die matschigen Abschnitte laufen, wären die Wege nur noch bereiter ausgetrampelt und von der wertvollen und geschützten Vegetation würde bald nicht mehr viel übrig sein.

Der Lofotodden Nationalpark liegt an der Westküste der Lofoten und erstreckt sich von Å ganz im Süden bis hinauf nach Fredvang. Neben dem Ryten, als einen der bekanntesten Gipfel in diesem Nationalpark, lockt der legendäre Kvalvika Strand viele Touristen an. Nach den ersten 240 Höhenmetern passieren wir den Forsvatnet und kurz darauf können wir einen ersten Blick auf den weltberühmten Kvalvika Strand werfen. Der Blick hinunter auf das türkisfarbene Wasser, die weissen, schäumenden Wellen und die schroffen Berge, welche die Szenerie umrahmen, ist tatsächlich extrem eindrucksvoll.

Wilde Szenerie
Wilde Szenerie
Der Lofotodden Nationalpark im Süden der Lofoten wird nur von wenigen markierten Wanderwegen durchzogen.
Wilde SzenerieDer Lofotodden Nationalpark im Süden der Lofoten wird nur von wenigen markierten Wanderwegen durchzogen.

Jeder hat ein Recht auf schöne Natur - aber zu welchem Preis?

Heute ist am Ryten wenig los, während unserer gesamten Wanderung treffen wir ungefähr auf 20 bis 30 andere Personen und am Strand selbst können wir niemanden entdecken. Wir möchten uns aber gar nicht ausmalen, was hier in den Sommermonaten los ist und bezweifeln, dass das norwegische Allemannsretten, also das Jedermannsrecht, das einen dazu berechtigt in der Natur zu übernachten, in Kombination mit Massentourismus eine wirklich gute Idee ist, die nachhaltig funktionieren kann. Obwohl wir uns am Ryten in einem Nationalpark befinden, setzen die Norweger anstatt auf Verbote auf ein hohes Mass an Eigenverantwortung jedes Einzelnen. Im Gegensatz zu den oft strengen Vorschriften in Naturschutzgebiten oder Nationalpärken in Deutschland oder der Schweiz darf man am Kvalvika Strand sogar mit seinem Zelt übernachten. Nimmt wirklich jeder seinen Müll wieder mit? Halten sich alle an das geltende Feuerverbot (15. April - 15. September) und hat jeder, der am Strand übernachtet seinen Poop-Bag dabei? 💩 Wir wagen es aus der Erfahrung heraus zu bezweifeln und bei der Masse an Touristen hat das mittel- bis langfristig sicherlich einen spürbar negativen Effekt für die Natur.

Im weiteren Verlauf wechselt der Weg zwischen Holzbohlen und ausgetrampelten Pfaden und folgt der Westkante des Ryten in Richtung Gipfel. Mit 540 Metern gehört der Ryten nicht zu den Riesen unter den Bergen auf den Lofoten, dennoch liegt selbst hier an manchen Stellen noch eine geschlossene Schneedecke. Vor uns breitet sich in nördlicher Richtung das Stokkvikdalen aus, das auf uns den Eindruck völlig unberührter Natur macht, denn kein Weg führt dort hinunter. Gleich daneben streckt sich der Fuglhuken in die Höhe und neben uns rollen die langen Wellen des Atlantiks an den weissen Kvalvika Strand. Gegen Osten blicken wir auf die Spitze des Volandstinden und hinüber zu Moltinden und Stortinden oberhalb von Ramberg.

Farbspektakel
Farbspektakel
Die Farbenvielfalt ist durchaus sehr beeindruckend, eingebettet in die rauhe Umgebung der Lofoten.
FarbspektakelDie Farbenvielfalt ist durchaus sehr beeindruckend, eingebettet in die rauhe Umgebung der Lofoten.

Gipfelglück und Naturschönheit

Windig ist es hier oben natürlich und für mehr als ein “schnelles Pausenbrot” in winddichten Jacken und Handschuhen lädt uns der Ryten-Gipfel leider nicht ein. Nach wenigen Minuten treten wir bereits unseren Rückweg an, mit kalten Händen in den Hosentaschen. Noch einmal geht es an der Abbruchkante oberhalb des Kvalvika Strandes entlang und zurück zum Forsvatnet.

Flora und Fauna als auch die gesamte Landschaft im Lofotodden Nationalpark ist einzigartig und schützenswert und die Lebensräume stehen teilweise auf der roten Liste. Extrem alte Pflanzenbestände (vielleicht sogar die ältesten Norwegens) bereichern die Pflanzenwelt und viele Vögel, wie Seeadler und weitere gefährdete Arten, haben in diesem Ökosystem ihr Habitat. Was allerdings nicht zu diesem Lebensraum gehört, ist der Mensch.

Endlos, aber nicht aussichtslos
Endlos, aber nicht aussichtslos
Vom Gipfel des Ryten schweift der Blick hinaus auf die Fluten des Nordmeeres.
Endlos, aber nicht aussichtslosVom Gipfel des Ryten schweift der Blick hinaus auf die Fluten des Nordmeeres.

Wir sind Teil des Problems

Mit jedem Schritt hinunter ins Tal wird uns das bei dieser Wanderung wieder einmal bewusst. Holzbohle um Holzbohle und Stufe für Stufe wälzen wir Gedanken und diskutieren über Sinn und Unsinn, über Freiheit und Schutz und wir wissen selbst nicht genau, wie wir mit der Entwicklung des Massentourismus umgehen sollen. Die Lofoten sind so eindrucksvoll, dass es nur verständlich ist, dass so viele Menschen sich davon selbst ein Bild machen möchten. Einmal Nordlichter oder die Mitternachtssonne erleben, Wale sehen oder schneeweisse Strände mit türkisen Wellen geniessen. Persönlich versuchen wir es so gut wie möglich zu vermeiden, zur Hochsaison an solche Orte zu reisen, und doch sind wir selbst Teil des Problems von Massentourismus. Wie also damit umgehen?

Wir lassen den letzten Holzsteg hinter uns und legen die verbleibenden Meter bis zum Bauernhof, wo unser Van steht, auf einem schmalen Pfad zurück. In den vergangenen drei Stunden haben wir viel erlebt und gesehen, lange diskutiert, bedrückt geschwiegen und uns haufenweise Gedanken gemacht. Antworten auf all unsere Fragen haben wir am Ryten nicht gefunden, aber mal wieder die Gewissheit, dass wir mit unserer Einstellung, häufiger unserer Intuition zu folgen, als irgendwelchen Bucket-List Portalen, genau richtig liegen. Die Wanderung auf den Ryten ist wunderschön, das steht ausser Frage. Aber es gibt viele einsamere und nicht weniger beeindruckende Berge auf den Lofoten, die uns persönlich besser gefallen.

Wandbilder aus dieser Region

Abstieg nach Fredvang
Abstieg nach Fredvang
Wie im Aufstieg leiten uns die vielzähligen Holzstege zurück auf Meereshöhe zu unserem Ausgangspunkt.
Abstieg nach FredvangWie im Aufstieg leiten uns die vielzähligen Holzstege zurück auf Meereshöhe zu unserem Ausgangspunkt.
Marina Kraus

Marina Kraus

Product Designerin und Content Creator. Egal ob digital oder im „echten“ Leben, Marina ist überzeugt, dass es für richtig gute Erlebnisse auf die Geschichte dahinter ankommt. Die beste Inspiration für Content und digital Experiences holt sie sich unterwegs. Als digitale Teilzeit-Nomadin arbeitet sie mal von zu Hause und mal aus dem Van – mit Blick auf zerklüftete Küsten- oder Gletscherlandschaften.

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