Venedig im Winter

Venedig im Winter

Eine weihnachtliche Reise in die Lagunenstadt an der Adria

Marina Kraus
Marina Kraus
StoriesJanuar 2025

Venedig ist eine Reise wert, schön, abschreckend, einzigartig und vergänglich – und all dies gleichzeitig. Während unseres winterlichen Aufenthalts in der Lagunenstadt lernen wir wenig frequentierte Stadtviertel und eine malerische Stadt eingehend kennen.

Graue Wolken hängen wie ein riesiges Tuch ausgebreitet über dem Himmel und ein zäher Nebelschleier durchzieht die gesamte Lagune. Die Luft ist kalt und feucht. Es ist so ruhig, dass ich mir wie in Watte verpackt vorkomme. Nur gedämpft nehme ich das leise Glucksen der Wellen wahr, die sanft gegen die kleine Kaimauer am Rand des Grundstücks schlagen. Kein Geräusch durchbricht diese Atmosphäre und kein Mensch ist zu sehen. Grabesstille. Mitten in einem grossen grünen Garten stehe ich auf einer mit Holz getäfelten Terrasse. Üppige Sträucher und ausladende Bäume ragen verstreut über das Gelände in die Höhe und verdecken teilweise die Sicht auf die umliegenden Gebäude. Bröckelnder Putz und rote Backsteinmauern. Lediglich ein paar streunende Katzen und der Schwarm Flamingos, der rund 150 Meter entfernt in einer Salzwiese steht, zeugen davon, dass es hier noch andere Lebewesen gibt. Ich bin verwundert, denn das alles fühlt sich so gar nicht nach Venedig an.

Am Canal Grande

Venedig – die Stadt am Wasser ist doch eigentlich ein florierendes Touristenzentrum, laut und überfüllt. Menschen aus der ganzen Welt versuchen sich zeitgleich durch zu enge Gassen und über schmale Brücken zu wälzen, die die zahllosen Kanäle überspannen. Die Lebensadern dieser einzigartigen Stadt. Aufdringliche Gondolieri buhlen um die Gunst der Zahlungswilligen. Tuckernde Vaporetti und vorbei zischende Wassertaxis wühlen das trübe Wasser auf und sorgen für ununterbrochenen Wellenschlag, der am Fundament der Stadt nagt. An jeder Ecke ein Restaurant oder Souvenirshop, Eisdielen und Apero-Bars. Lange Warteschlangen vor dem Dogen Palast oder einem der zahlreichen Museen. Flatternde Tauben. Kreuzfahrtschiffe. Das blühende Leben oder vielleicht auch schon einen Schritt über dem Zenith, eine überrannte Stadt im Ausverkauf.

Die Insel der Glasbläser

Ich ziehe meine nassen Winterschuhe noch vor der Tür aus und schlüpfe schnell ins innere des Bungalows, wo mich wohlige Wärme empfängt. Hohe Fenster, weisser Marmorboden und die schmalste Wendeltreppe, die ich je gesehen habe. Das ist also unser Zuhause für die nächsten acht Nächte und somit bis zum ersten Morgen des neuen Jahres. Unser Apartment liegt auf Murano, eine der wohl bekanntesten von rund 180 Inseln, die zur Stadt Venedig gehören und rund fünfzehn Vaporetti-Minuten von der Altstadt entfernt - falls man ins richtige Vaporetti steigt. Spoiler: Wir haben eine Stunde gebraucht.

Murano ist die Insel der Glasbläser und vor allem als Tagesausflug beliebt. Morgens und Abends, wenn kaum Touristen in den schmalen Gassen unterwegs sind, geht es auf der kleinen Insel allerdings ziemlich ruhig zu. Es ist ein kleines Paradies, das wir hier gefunden haben und genau der richtige Ort für die Zeit zwischen den Jahren. Der Trubel der hektischen Stadt, die vom Weihnachtsfest bis zum grossen Silvesterfeuerwerk gefühlt noch mehr als sonst aus allen Nähten platzt, bleibt aussen vor. Dass unser Apartment allerdings so viel Ruhe und geradezu Abgeschiedenheit erlaubt, war eine echte Überraschung und ich hätte nicht erwartet, so ein Kleinod "mitten" in Venedig zu finden. Ein Ort an dem es möglich ist zu Entspannen, Kraft zu tanken und wahre Ruhe zu geniessen. Der perfekte Gegenpol für unsere Streifzüge durch das Centro Storico, das historische Zentrum Venedigs.

Stilles Murano in der Weihnachtszeit

Grauer Himmel, bunte Häuser

Bevor wir uns am nächsten Tag in das touristische Getümmel stürzen, erkunden wir noch vor dem Frühstück die Gassen von Murano bei einer kleinen Laufrunde. Über zahlreiche Brücken, durch viele schmale Gassen und indem wir einige Schlaufen laufen schaffen wir sogar knappe sechs Kilometer und kommen an Ende an einer Bäckerei vorbei. Die frischen Brötchen für das Frühstück hellen unsere Stimmung auf, im Gegensatz zum Himmel, denn der ist mit dicken grauen Wolken verhangen. Trotz trüber Wetterstimmung steigen wir am späten Vormittag, eingepackt in dicken Jacken, in eines der Vaporetti und schaukeln Richtung Altstadt. Mit kalten Fingern halte ich mich am Geländer fest, während wir uns der imposanten Silhouette Venedigs nähern. Der sanfte Fahrtwind lässt mich bei gerade einmal zehn Grad über Null frösteln und ich ziehe meine Mütze noch tiefer ins Gesicht. Der feuchte Nebel wird uns auch in den kommenden Tage nur selten verlassen und die Ränder der Lagune bleiben zumeist im weissen Dunst verborgen.

Verkehrsampeln in Venedig?

Der altmodisch wirkende Wasserbus, das wichtigste öffentliche Verkehrsmittel in der Lagune, klappert eine Haltestelle nach der nächsten ab und kracht jedesmal rumpelnd an die schwimmenden Pontons, die als Haltestellen dienen. Die gelb markierten, wie Container wirkenden Wartehäuschen sind überall in den Wasserstrassen Venedigs zu finden und ermöglichen es, schnell von A nach B zu kommen. Unsere Linie legt einen Zwischenhalt an der Friedhofsinsel San Michele ein, bevor wir bei Fondamente Nove an der Nordseite Venedigs vom Kahn hüpfen und unsere Entdeckungstour zu Fuss fortsetzen.

Kreuz und quer laufen wir während der kommenden Tage durch die engen Gassen der Lagunenstadt. Nur hin und wieder schafft es die Sonne, ihre Strahlen durch den immer grauen Himmel und den zähen Nebel zu schicken und wir geniessen jede einzelne Minute davon, halten inne, egal wo wir uns gerade befinden, und nutzen das schwach goldene Licht zum Fotografieren. Licht und Schatten betonen die bunten Häuserfassaden, die verzierten Balkone und die in die Jahre gekommenen Fensterläden, also all das, was den Charme der Stadt ausmacht, auf eine ganz besondere Art. Wäsche hängt an Leinen hoch über den schmalen, gepflasterten Gassen und überall finden sich Blumentöpfe mit blühenden oder immergrünen Pflanzen, deren Blätter und Blüten im Kontrast zu den bunten Wänden und roten Backsteinmauern stehen. Manche Balkone liegen so eng beieinander, dass sich die Bewohner ohne Mühe zuprosten könnten und das Sonnenlicht sie noch niemals erreicht hat.

Wir lassen uns verzaubern vom Wirrwar aus Strassen, Kanälen und Brücken, biegen mal recht ab, mal links, ohne auf die Karte zu schauen. Mal stehen wir in einer Sackgasse und müssen wieder umkehren und jeden Tag wandern wir durch ein anderes Viertel, bis wir am späten Nachmittag erschöpft im Vaporetto zurück nach Murano sitzen und uns darauf freuen, die Füsse hochzulegen.

Was ist sehenswürdig?

Unbestritten hat Venedig einiges zu bieten, wenn es um Kunst und Kultur geht. Eindrucksvolle Kirchen, ehrwürdige Paläste, kunstvolle Theater und Opernhäuser. Glanz und Gloria, das aus vergangenen Zeiten bis heute nachwirkt. Für uns sind diese Sehenswürdigkeiten allerdings eher zweitrangig und wir sind mehr interessiert an den unscheinbaren Dinge, den alltäglichen Szenen, die in dieser Stadt aufgrund der vielen Touristen vielleicht nur noch selten oder auch gar nicht mehr anzutreffen sind. Wir begeben uns dennoch auf die Suche. Wir sind uns einig, dass uns die stillen und wenig beachteten Orte mehr zusagen und versuchen uns von den grössten Touristen-Hotspots fernzuhalten.

Unsere Streifzüge führen uns über kleine Campi, also Plätze, die so verlassen wirken, als wären wir ganz alleine in dieser Stadt und durch dunkle Gassen, die zugegeben hässlicher kaum sein könnten. Je weiter wir uns von den beliebten Sehenswürdigkeiten entfernen, desto eintöniger, aber auch ehrlicher werden die Eindrücke, die auf uns einwirken. Teils dreckige Strassenecken, unfertige Baustellen, Modergeruch, aber auch herzig verzierte Hauseingänge, idyllische Grünflächen und beinahe überwucherte Balkone begegnen uns. Einige Strassen weiter stossen wir dann plötzlich wieder auf Menschenmassen, die so enorm sind, dass wir sie als unangenehm empfinden und die uns beinahe überfordern. Die Gegensätze könnten nicht grösser sein.

Idyllische Viertel abseits der Touristenströme

Venedig auf Umwegen

Mit jedem Tag verfeinern wir unsere Taktik. Anstatt über den Markusplatz zu flanieren und uns an den Massen vor dem Dogen Palast vorbei zu schlängeln, betrachten wir die Kulisse lieber aus respektvoller Entfernung von der gegenüberliegenden Fondamente Salute. Die Rialto Brücke sehen wir im Vorbeifahren aus dem Vaporetto und an der Basilica di Santa Maria kommen wir nur durch Zufall vorbei. Auch die anderen zahllosen Kirchen, Museen und Ausstellungen lassen wir links liegen und folgen lieber unserem eigenen Plan.

Anstatt uns einen Weg mitten durch die Massen von Touristen zu suchen, die selbst in dieser trüben Jahreszeit das Bild der Stadt bestimmen, laufen wir Kilometer um Kilometer aussen herum. Wir streifen im Westen durch wenig besuchte Gassen in Dorsoduro und Santa Croce, kommen im Norden an der Universität von Venedig vorbei und spazieren entspannt durch Cannaregio. Ich merke bald, dass ich lieber an der Wasserkante als in den engen Strassen unterwegs bin, was die Wege nicht kürzer werden lässt. Im Südosten Venedigs sind wir in den äusseren Bereichen von Castello nur wenigen Menschen begegnet und mit am wohlsten haben wir uns vermutlich im Parco delle Rimembranze gefühlt. Überhaupt waren die kleine grünen "Inseln" zwischen all den engen Häuserschluchten wahre Oasen.

Farbenfrohe Gassen

Lichtspiele und Weihnachtsstimmung

Rosa, orange, lila - so grau es in den letzten Tagen war, so farbenfroh leuchtet der Himmel an diesem späten Nachmittag plötzlich. Als die Sonne untergeht taucht sie alles in ein magisches Licht, das sich kaum in Worte fassen lässt. Der Tag war lang und unsere Füsse bräuchten eigentlich eine Pause, dennoch können wir uns dieses überwältigende Licht- und Farbenspiel nicht entgehen lassen. Fasziniert von der einmaligen Atmosphäre, die in diesem Moment vor unseren Augen entsteht, wirken die Gassen Muranos noch idyllischer als sie es an sich schon tun. An jeder Ecke glitzert Weihnachtsbeleuchtung, hält die sich langsam ausbreitende Dunkelheit ein Stück zurück und die goldenen Lichter spiegeln sich auf der nahezu glatten Wasseroberfläche in den Kanälen.

Ich würde gerne sagen, dass ich mir Venedig in der Weihnachtszeit genau so vorgestellt habe, aber das wäre gelogen. Die Lichtstimmung, die wir an diesem Abend erleben dürfen, übertrifft alle Erwartungen und nach tagelangem Nebel ist dieser Anblick ein wahrhaft pompöser Abschied von der Lagunenstadt. Das Silvesterfeuerwerk verschlafen wir leider und am nächsten Morgen geht es bereits um neuen Uhr mit dem Wassertaxi zurück zum Parkhaus. Aber wer braucht schon ein Feuerwerk, wenn die Farben der Natur den Himmel auf solch fantastische Weise in Szene setzen.

Panorama

Venedig zwischen den Jahren

Die Raunächte in Venedig zu verbringen war eine sehr spontane Idee und auf jeden Fall ein aussergewöhnliches Erlebnis. Nach diesen Tagen in der Laguenstadt starten mit vielen bunten (als auch grauen) Eindrücken ins neue Jahr und sind froh, dass wir diese besondere Jahreszeit hier geniessen konnten. Zum Ritual wird eine Reise nach Venedig zum Jahreswechsel allerdings nicht werden. Jetzt haben wir 350 Tage Zeit, um uns zu überlegen, wo wir dieses Jahre beenden und das neue starten wollen.

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Über Marina Kraus

Marina Kraus
Marina erzählt in ihren authentischen Texten emotionale Geschichten und lädt unsere Community zu spannenden Gedankenreisen in atemberaubende Landschaften ein. Von den majestätischen Alpen bis zu den endlosen Weiten des Nordmeers nimmt sie ihre Leser auf sportliche Abenteuer mit und wirft einen Blick hinter die Kulissen. Als Wanderguide teilt sie ihre Leidenschaft für die grossen und kleinen Wunder der Natur und lädt euch ein, gemeinsam zur nächsten Wandertour aufzubrechen.
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