Silvester-Skitour auf das Tällihorn
StoriesJanuar 2020

Einmal im Jahr soll man ja etwas Neues ausprobieren. Und da ich 2019 noch keine einzige Skitour gemacht habe, verabschieden wir das Jahr mit einer Silvester-Skitour in Graubünden und rutschen mit viel Potenzial dem neuen Jahr entgegen.

Im vergangenen Winter 2018/19 hat mich die Loipe völlig in ihren Bann gezogen – Zeit und Lust für Skitouren ist damals kaum geblieben. Und die Schneelage in diesem Winter lässt bisher ganz schön zu wünschen übrig. Die Flachländer flüchten über die Weihnachtsferien aus dem Nebel in die Berge und vor unserer Haustüre ist die Hölle los. Die Skigebietparkplätze an der Ibergeregg und im Hoch-Ybrig sind jeden Tag überbelegt und es herrscht regelmässig Verkehrschaos. Wir ergreifen also die Flucht nach vorne und entscheiden uns in das abgelegenste Tal zu fahren, das uns auf die Schnelle einfällt. Unsere Wahl fällt auf das Safiental.

Abgelegen heisst in unserem Fall nun aber auch früh aufstehen – und das an Silvester, wo am Abend doch eigentlich mal länger wach bleiben angesagt wäre. Bereits um 5 Uhr holt uns der Wecker aus dem Schlaf. Also raus aus den Federn, noch mit Nutellaresten im Gesicht springen wir nach einem kurzen Frühstück ins bereits gepackte Auto und um Punkt 8 Uhr stehen wir bereits am Parkplatz des Turrahus – dem Ausgangspunkt für unsere Jahresschluss-Skitour auf’s Tällihorn.

Noch ist hier hinten im Talschluss nicht viel los und fast alleine beginnen wir unseren Aufstieg. Kalt ist es hier im Schatten – die Sonne hat es noch nicht über die 3000er Bergkette mit Alperschällihorn, Pizzas d’Anarosa und Bruschghorn auf der gegenüberliegenden Talseite geschafft. Und meine eiskalten Finger quälen mich einmal mehr.

Erste Sonnenstrahlen über dem Safiental

Für das Frösteln winkt uns jedoch eine Belohnung. Nach einigen hundert Höhenmetern wechseln wir vom Schatten ins Licht und geniessen einen wunderschönen Sonnenaufgang oberhalb von Thalkirch. Mit der Sonne im Rücken lässt es sich auch gleich leichter aufsteigen. Etwas später dann Pause – Sonne, Panorama, Brote, Müsliriegel, Tee. Und dann der restliche Aufstieg. Die nach Westen ausgerichteten Hänge sind so sanft geneigt und die Spur so gut angelegt, dass wir im weiteren Aufstieg unsere Gedanken schweifen lassen können und uns einfach an der Landschaft freuen.

Kurz vor dem aufsteilendem Gipfelhang wartet dann eine winzige „Steilstufe“ auf uns – wohl eher ein Stüfchen. Die Spur ist zwar gut angelegt und die erste Spitzkehre funktioniert noch ganz flüssig. Die zweite liegt dann allerdings in etwas steilerem Gelände und mein Kopf verweigert den Dienst. So stehe ich da in einem Gelände, wo jeder einfach durchstapft und traue mich nicht, die nächste Spitzkehre zu machen. Mit viel Gehampel und schlechter Laune komme ich doch irgendwie rum, gestresste Psyche inklusive.

Ein paar Meter weiter dann der Gipfelhang. Der Schnee ist hier, im Gegensatz zur restlichen Tour, hart gepresst und stellenweise abgeblasen, die Spur hart und rutschig. Um der Laune willen machen wir bereits weiter unten unser Skidepot und steigen die letzten Meter zum Grat und hinauf zum Gipfel zu Fuss auf. Das geht eigentlich problemlos, aber so richtig geniessen kann ich unseren Jahres-End-Gipfel dann doch nicht. Die letzten Meter haben mich ganz schön unter Spannung gesetzt.

Irgendwie kenne ich diese Situationen schon länger. Die letzte „technische“ Tour liegt wohl nicht nur gefühlt, sondern auch tatsächlich eher Jahre als Wochen zurück und mein Bergsteiger-Selbstbewusstsein hat sich in dieser Zeit dem möglichen Tiefpunkt genähert. Ratschläge von Falko? Kann ich so gestresst äusserst professionell ignorieren. Meine Kommunikationsfähigkeit? In Stresssituationen am Berg beschränkt sie sich leider oft auf verzweifeltes Jammern, das bei zunehmender Angst in panisches Gemotze übergeht.

Was genau passiert da eigentlich in meinem Kopf?

Der Auslöser – oftmals eine technisch und bergsteigerisch eher harmlose Stelle. Mal ist es ein kleiner Grat, der ein bisschen ausgesetzt und rutschig ist, das nächste Mal vielleicht 30° steiles Gelände mit einer abgeblasenen, eisigen Spur oder im Sommer bröseliger Fels unter meinen Schuhen.

Die Reaktion – eigentlich alles keine unlösbaren Situationen, aber oftmals reichen solche Stellen, um diesen kleinen roten Schalter in meinem Kopf umzulegen und mich in Panik zu versetzen. Ich bekomme sofort Angst und da ich ja ein sehr fantasievoller Mensch bin, spielen sich in meinem Kopf die übelsten Szenen ab. Eigentlich immer das gleiche Bild vor meinem inneren Auge – ich falle. Mit diesem Gedanken geht dann erst mal gar nichts mehr.

Die Alternativen – ich bin also blockiert und komme erst mal nicht weiter. Wie soll ich diese Spitzkehre schaffe? Wie über diesen Grat kommen? Es gibt immer zwei Alternativen – weitergehen oder umkehren. In letzter Zeit habe ich häufig den Rückzug angetreten und auf den Rest einer Tour, den Gipfel oder gleich einen gesamten Berg verzichtet. Das ist jedesmal frustrierend, für mich und natürlich auch für meine Tourenpartner. Und es fördert auch nicht gerade mein wohl doch angeschlagenes Bergsteiger-Ego. Jedesmal kommt im Anschluss die Frage nach dem ‚Warum‘ und ‚Wie anders‘ auf.

Die mentale Zerreissprobe – Blockadesituationen nerven mich mittlerweile extrem. Die Stimmung kippt und aus einem tollen Bergerlebnis wird Zeter und Mordio. Der selbst aufgebaute Druck, mein fehlender Mut und mein schwaches Selbstbewusstsein kosten mich viel zu viel Kraft, die ich für die eigentliche Tour benötige.

Die Zuversicht – verliere ich aber trotzdem nicht. Oft gehen mir Gedanken durch den Kopf, dass ich bei früheren Touren schon schwierigeres Gelände gemeistert habe und das mit weit weniger Angst. Und Übung macht bekanntlich den Meister und da noch kein Meister vom Himmel gefallen ist, habe ich beschlossen ‚Meister‘ zu werden. Ich muss die Angst vor dem Absturz endlich hinter mir lassen.

Der Plan – Angstsituationen wird es immer wieder geben. Also was tun, wenn die Angst kommt? Wieder ruhig werden, Gedanken sammeln und sich auf den eigenen Standpunkt konzentrieren. Kein Gejammer meinerseits, keine genervten Kommentare von Falko. Positiver Zuspruch wäre toll. Im Fokus: der nächste Schritt, die anstehende Spitzkehre oder der nächste Griff und dann weiter – langsam, kontrolliert. Die Gedanken dabei? Ich kann das, also schaffe ich das. Das wird für uns zwei nicht einfach, hitzköpfig wie wir beide sind. Aber ich bin mir sicher, dass es klappt.

Jedes Jahr und jede Tour geht einmal zu Ende

Irgendwann – und am besten noch dieses Jahr – müssen wir wieder ins Tal. Zu Fuss geht’s zurück zum Skidepot und dann an die Abfahrt. Der Schnee ist an den meisten Hängen besser als gedacht und wir rauschen mit grinsenden Gesichtern dem Turrahus entgegen. Die letzten Höhenmeter bevor wir den Parkplatz erreichen sind nochmal etwas hampelig, da der Schnee hier unten sehr zerfahren ist und zudem durch die Sonne immer wieder weich wird und über Nacht neu gefriert. Aber auch das ist bald mit brennenden Oberschenkeln geschafft und wir stehen wieder glücklich neben unserem Auto.

Perfekter Jahresabschluss 2019 – mit viel Potenzial für’s nächste Jahr!

Am Abend werden wir beide müde und zufrieden den Jahreswechsel gemütlich verschlafen. 😊

Artikel teilen

Über Marina Kraus

Marina Kraus
Marina erzählt in ihren authentischen Texten emotionale Geschichten und lädt unsere Community zu spannenden Gedankenreisen in atemberaubende Landschaften ein. Von den majestätischen Alpen bis zu den endlosen Weiten des Nordmeers nimmt sie ihre Leser auf sportliche Abenteuer mit und wirft einen Blick hinter die Kulissen. Als Wanderguide teilt sie ihre Leidenschaft für die grossen und kleinen Wunder der Natur und lädt euch ein, gemeinsam zur nächsten Wandertour aufzubrechen.
Biografie lesen