Über die Cabane des Vignettes auf den Pigne d'Arolla

Über die Cabane des Vignettes auf den Pigne d'Arolla

Falko Burghausen
Falko Burghausen
Veröffentlicht: vor 3 Wochen
Aktualisiert: vor 3 Wochen
Geschätzte Lesezeit: 10 Minuten

Der Wind ist ein umtriebiger Begleiter. Mal pfeifend, mal heulend, oft (aus-)kühlend, manchmal schneidend und auszehrend – die Auswirkungen des Windes sind vielfältig. Tatsache aber ist, dass der Wind ein stetiger Begleiter in den Bergen ist. Ein Begleiter, der sich mal mehr, mal weniger deutlich sehen und spüren lässt. Die Spannbreite reicht von einer leichten, angenehm kühlenden Brise bis hin zum nervenzerfetzenden, schmerzhaft kalten Sturm, der jede undichte Stelle in der schützenden Aussenbekleidung findet und unbarmherzig die mühsam aufgebaute Körpertemperatur bedroht.

Die Osterfeiertage 2024 sind in der ganzen Schweiz geprägt von einer fürchterlichen Föhnwetterlage. Der Süden versinkt in Regen und Schnee, nördlich des Alpenhauptkamms hingegen wütet der Sturm mit bis zu 190 km/h und so vermiest das Wetter jedem, egal ob nördlich oder südlich der Alpen, die lang ersehnten Feiertage.

Kurz vor Ostern gibt es jedoch nochmal ein Schönwetterfenster, welches sich für einen Abstecher auf Ski zur Cabane des Vignettes anbietet, bevor die Schlechtwetterfront endgültig hereinbrechen soll. Knapp 1'200 Höhenmeter sind es ab Arolla, der Zustieg bietet bei normalen Verhältnissen technisch keine nennenswerten Schwierigkeiten. Anfangs folgt man den Pisten des kleinen, aber feinen Skigebiets von Arolla, wenig später taucht der Skibergsteiger dann aber bereits in die beeindruckende Moränenlandschaft ein, die durch die einstmals deutlich weiter ins Tal herabstossende Gletscherzunge des Glacier de Pièce und seinem westlichen Nachbar, dem Glacier de Tsijiore Nouve, geformt wurde.

Der Glacier de Pièce mit dem 3'153 m hohen Col des Vignettes
Der Glacier de Pièce mit dem 3'153 m hohen Col des Vignettes
Solchermassen gut eingeschneit kaum als Gletscher erkennbar: der Glacier de Pièce, an dessem oberen Ende die Cabane des Vignettes gerade noch erkennbar ist.
Der Glacier de Pièce mit dem 3'153 m hohen Col des VignettesSolchermassen gut eingeschneit kaum als Gletscher erkennbar: der Glacier de Pièce, an dessem oberen Ende die Cabane des Vignettes gerade noch erkennbar ist.

Beim Betreten des Gletscherbeckens die ersten Gleichgesinnten, mehrere Personen kommen mir in der Abfahrt entgegen, vermutlich Teilnehmer geführter Gruppen, die auf der Haute Route Etappe zwischen Cabane des Vignettes und Cabane de Bertol unterwegs sind. Die hinterlassenen Spuren deuten auf gut fahrbaren Schnee hin, Schwung an Schwung reiht sich elegant aneinander, die rund fünfzehn Zentimeter Pulverschnee auf der Altschneeoberfläche tragen sicherlich ihren Teil dazu bei.

Der Himmel ist strahlend blau, erst gegen Spätnachmittag soll sich das Wetter verschlechtern. Windstille, Sonnenschein und angenehme, nicht zu warme und nicht zu kalte Temperaturen sorgen für einen entspannten Aufstieg hinauf zum Col des Vignettes auf 3'153 m Höhe. Gleiche Route, zwei Tage vorher: stollender Schnee unter den Fellen, Wut, Frust – das hatten wir doch schon einmal. Heute hingegen ist der Aufstieg mit den konstant kälteren Temperaturen kein Problem, das Phänomen stollender Felle tritt vor allem bei wechselnden Schneetemperaturen zwischen nassem, wärmerem Schnee hin zu kaltem Schnee auf (zum Beispiel beim Übergang von sonnigen zu schattigen Bereichen). Manchmal reichen aber auch schon kleinste Unterschiede in der Exposition eines Hanges, um den entscheidenden Unterschied zwischen Freude und Frust auszumachen.

Die Cabane des Vignettes auf 3'153 m Höhe
Die Cabane des Vignettes auf 3'153 m Höhe
Wie ein Adlerhorst thront die steinerne Hütte hoch oben in den Walliser Alpen, direkt oberhalb des riesigen Gletscherplateuas rund um den Col de Charmotane.
Die Cabane des Vignettes auf 3'153 m HöheWie ein Adlerhorst thront die steinerne Hütte hoch oben in den Walliser Alpen, direkt oberhalb des riesigen Gletscherplateuas rund um den Col de Charmotane.

Am Col des Vignettes angekommen, die Hütte bleibt links liegen, fällt der spontane Entscheid, die guten Schnee- und Wetterbedingungen zu nutzen und weiter in Richtung Pigne d'Arolla zu gehen. Der Aufstieg führt ebenfalls über vergletschertes Gelände, es ist daher streng genommen kein Gelände für einen Alleingang. Die diese Saison überdurchschnittlich gut eingeschneiten Gletscher in Kombination mit einem grundsätzlich eher spaltenarmen Gelände reduzieren das Risiko aber deutlich, ein Wetterumsturz kann im Moment ausgeschlossen werden und damit bleibt die Sicht ebenfalls gut.

Herausfordernder ist vielmehr die Tatsache, dass heute offenkundig niemand von der Cabane des Vignettes in Richtung Pigne d'Arolla aufgestiegen ist, nur diverse Abfahrtsspuren in die Gegenrichtung sind zu erkennen. Das bedeutet also 600 Höhenmeter Spurarbeit nach bereits über tausend Höhenmetern bis hierher, ich lasse es daher entspannt angehen und quere den 2018 zu trauriger Berühmtheit gekommenen Übergang zum namenlosen Gletscherhang, der mich anschliessend in weitläufigem und grösstenteils wenig steilem Gelände hinauf in Richtung Gipfel führen soll.

L'Evêque, 3'717 m
L'Evêque, 3'717 m
Der markante nördliche vergletscherte Hang an der L'Evêque, eine spannende mittelschwere Skihochtour ab der Cabane des Vignettes, die abhängig vom Zustand der grossen Spalte auf rund 3'300 m Höhe ist.
L'Evêque, 3'717 mDer markante nördliche vergletscherte Hang an der L'Evêque, eine spannende mittelschwere Skihochtour ab der Cabane des Vignettes, die abhängig vom Zustand der grossen Spalte auf rund 3'300 m Höhe ist.

Eine gute Stunde und manch' mühsame Spurarbeit später der wenig ausgeprägte Pass zwischen dem Gipfel der Pigne d'Arolla und dem namenlosen Punkt P. 3772. Die Schneequalität wechselnd und speziell im oberen Teil windgeprägt, kaum verwunderlich in dieser Höhe. Etwas weiter unten verspricht der lockere Pulverschnee jedoch viel Spass in der Abfahrt, das wird die Belohnung für die Spurarbeit werden.

Vom Pass aus sind es nur noch wenige windige Meter, bis die flache und unspektakuläre Gipfelkuppe auf 3'787 Metern fast Höhe erreicht ist. Weiter unten: nahezu windstill und angenehm, hier nun ist es plötzlich stürmisch und damit zugig kalt. Da ist er wieder, der Wind. Innerhalb von wenigen Minuten, ja Sekunden, verändert er die gesamte Situation. Die Sicht und das Wetter bleiben gut, ich reduziere die Zeit trotzdem auf das Nötigste: Jacke an, trinken, abfellen und fertig machen für die Abfahrt. Der Wind kühlt aus, zu schnell können solche Situationen umschlagen, das muss nicht sein, wenn man allein auf weiter Flur ist. So aber bleibt alles unter Kontrolle und das Gipfelpanorama mit Blick von der Dent Blanche über Matterhorn bis hin zum Grand Combin im Westen entschädigen für die Mühen des Aufstiegs.

Panorama

Westlich geht es hinunter in das weitläufige Gletschergelände rund um den 3'633 m hohen Col du Brenay, ein Alptraum im Schneesturm und ohne Orientierung. Heute hingegen ist die Sicht einwandfrei, direkt dahinter ragt der nur wenig höhere Mont Blanc de Cheilon auf, der mit seiner felsigen Nordwand einen imposanten Anblick von der Cabane des Dix bietet. Auch der Pigne d'Arolla bricht nach Norden hin steil ab, als abweisender Klotz präsentiert er sich von Arolla aus gesehen. Der Aufstieg mit Tourenski hingegen bietet keine nennenswerten technischen Schwierigkeiten, dennoch muss die Höhendistanz entsprechend gewichtet und in die Tourenplanung mit einbezogen werden.

Über den Col du Brenay führt die Abfahrt in Richtung Cabane des Dix, ein im Rahmen der Haute Route häufig begangener Übergang und oftmals höhentechnischer Höhepunkt auf dieser eindrucksvollen Durchquerung der Westalpen von Zermatt nach Chamonix. In einer Gruppe eine schöne Abfahrt auch als Tagestour mit Rückkehr nach Arolla über den Pas de Chèvres, alleine aber aufgrund des spaltenreichen Gletschers keine Option.

In der Abfahrt der Anfang wie befürchtet rauh und windbearbeitet, wenig später dann jedoch ein aprupter Übergang zu wunderbarem Pulverschnee, der mich mühelos hinabgleiten lässt. Eine Handvoll Tourengänger kommt mir nun doch noch entgegen, insgesamt aber ist es ein sehr ruhiger Tag hier oben. Noch einmal lege ich einen kurzen Zwischenstopp für ein Panoramafoto ein, bevor ich mit brennenden Oberschenkeln wieder zu den Steinmännchen hinabschwinge, die den Übergang zur Querung hinüber zur Cabane des Vignettes markieren.

Panorama

Bereits 1924 wurde die erste kleine Schutzhütte an der Stelle der heutigen Hütte erbaut, über die Jahre mehrfach baulich verändert und erweitert bis hin zum heutigen eindrucksvollen Steingebäude, welches dank seiner einmaligen Lage jährlich Sommers wie Winters Bergsteiger anzieht und Schutz vor dem Wetter bietet. Auf der östlichen Talseite dominiert eindeutig die 4'357 m hohe Dent Blanche die Szenerie, gefolgt von der spitzen Kulisse der Aguille de la Tsa und der markanten Felsmauer der Bouquetins, einer 3'838 m hohen Kette von Gipfel oberhalb des Haut Glacier d'Arolla. An deren Fuss liegt das kleine Refuge des Bouquetins, einer Biwakhütte inmitten der einzigartigen Natur des Walliser Hauptkamms.

Die Cabane des Vignettes in einzigartiger Lage
Die Cabane des Vignettes in einzigartiger Lage
Umrahmt von bekannten Namen, umgeben von Gletschern und umwerfend gelegen in den Walliser Bergen: wenige Hütten biete eine solche Lage in der hochalpinen Natur der Alpen.
Die Cabane des Vignettes in einzigartiger LageUmrahmt von bekannten Namen, umgeben von Gletschern und umwerfend gelegen in den Walliser Bergen: wenige Hütten biete eine solche Lage in der hochalpinen Natur der Alpen.

Die weitere Abfahrt ab der Hütte: ein Wechselbad der Gefühle, wunderschöner Pulverschnee im oberen Teil des Glacier de Pièce, grauenhafter, windbearbeiter und harter Schnee im unteren Teil – man kann nicht alles haben. So bin ich froh, am Ende für die letzten Meter wieder auf die Skipiste hinüberqueren zu können, nachdem ich erneut die riesigen Moränen und Gletschermühlen des Glacier de Tsijiore Nouve passiert habe. Die tageszeitliche Erwärmung trägt dazu bei, dass von den aperen Hängen der Moränen ein stetiges Gerumpel zu vernehmen ist, wenn immer wieder Teile dieses losen Zeugs abbrechen und in die Tiefe stürzen. Glücklicherweise führt mich mein Weg nicht darunter hindurch, so dass ich diesen Prozess der Vergänglichkeit gefahrlos beobachten kann.

Nach knapp 1'800 Höhenmetern Aufstieg und Abfahrt geht so eine spontan bis auf den Gipfel der Pigne d'Arolla verlängerte Tour zu Ende, das Schönwetterfenster ist gut genutzt worden und in Erwartung der osterlichen Föhnwetterlage mache ich mich auf den Heimweg.

Wandbilder aus dieser Region

Vergänglichkeit
Vergänglichkeit
Immer wieder brechen Geröll und sandiges Gestein aus der sonnenbeschienenen Moräne des Glacier de Tsijiore Nouve und rutschen hinunter auf den Gletscher.
VergänglichkeitImmer wieder brechen Geröll und sandiges Gestein aus der sonnenbeschienenen Moräne des Glacier de Tsijiore Nouve und rutschen hinunter auf den Gletscher.
Falko Burghausen

Falko Burghausen

Falko erhebt die Fotografie zu einer Kunstform, die jenseits einfacher Abbildungen liegt. Seine künstlerische Vision erlaubt es ihm, die Seele der eindrucksvollsten Momente einzufangen und in zeitlose Bilder zu verwandeln. Mit einem Auge für Details und einem Gespür für die Schönheit der Welt, schafft er Bilder, die Emotionen wecken und die Betrachter in ihren Bann ziehen.

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