Auf den Lofoten ist sogar eine schlichte Fahrt mit dem Auto immer wieder ein Erlebnis. Während der Rückfahrt von unserer Wanderung auf den Ryten erblicken wir bei der Überquerung der geschwungenen Brücken von Fredvang Richtung Ramberg einen grandiosen Zacken. Wie eine spitze Nadel ragt der Volandstinden vor uns in die Höhe und sieht irgendwie unbezwingbar aus, zumindest aus dieser Perspektive. “Kann man da irgendwie hoch?” Klar, dass das Falkos erste Reaktion ist, wenn ein interessanter Gipfel in Sicht kommt und ein prüfender Blick auf die digitale Landeskarte verrät uns, dass dort sehr wohl ein Weg hinauf führt. Allerdings von unserem Standpunkt aus gesehen über die Rückseite, also aus südlicher Richtung, die weitaus weniger beeindrucken, aber nicht minder schön ist. Sieht nach einem Plan aus.
Erholt von der Wanderung auf den Ryten und nach einem ausgiebigen Sonntagsfrühstück packen wir die Trailrunning Rucksäcke und schnüren die Laufschuhe, um den Plan in die Tat umzusetzen. Gute 40 Minuten Fahrtzeit später stehen wir am Fuss des Volandstinden und ein kalter Wind pfeift uns um die Nase. Aber mittlerweile haben wir uns an das “7° C und Wind”-Wetter, also den nordischen Frühling, gewöhnt. Wir haben uns dazu entschieden, den Volandstinden von Osten her in Angriff zu nehmen. Einerseits kennen wir diesen Weg noch nicht und andererseits ist der Aufstieg über die Westseite, der am Geitedalsvatnet vorbei führt, ziemlich feucht und matschig, wie wir bei einem abendlichen Fotoausflug im letzten Jahr bereits einmal feststellen mussten. Der Weg auf der Ostseite hingegen stellt sich als solide heraus. Die ersten Höhenmeter sind zwar nicht unbedingt perfektes Trailrunninggeläde, steinig verblockt und ein bisschen mühsam zu laufen, aber schon nach rund 200 Höhenmeter ist das vergessen.
Von der Nesheia aus zieht der Weg geradewegs nach Norden, erst über den breiten Rücken, später am Grat entlang. Während Falko mit der Kamera vor oder zurück rennt, versuche ich, meinen Rhytmus zu finden und kämpfe mit dem Terrain. Der Trail ist fast überall grob steinig und technisch etwas anspruchsvoll, aber am Ende lohnt sich die Anstrengung, denn die Aussicht vom Gipfel oder sogar von der etwas tiefer davor liegenden Spitze ist einfach umwerfend. Links reihen sich Torsfjortinden, Ryten und Fuglhuken aneinander, während auf der rechten Seite Stjerntinden, Stortinden und Moltinden in die Höhe ragen. Dazwischen liegt am rechten Rand das malerische Örtchen Ramberg mit seinem Sandstrand im für die Lofoten typischen Türkis und Weiss. Links überspannen die imposanten Brücken Kubholmenleia bru und Røssøystraumen bru mehrere kleine Inseln und sorgen für eine unkomplizierte Verbindung hinüber nach Fredvang.
Die wunderschöne Landschaft, die kurvenreichen Strassen und Brücken und die vielen kleinen bunten Holzhäuser sehen von hier oben wie eine Miniaturlandschaft aus, und wir würden am liebsten ewig hier sitzen und dem Treiben zusehen. Doch der unablässige Wind kümmert sich nicht um unsere Wünsche. Da wir gerade einfach nur herumstehen, Müsliriegel naschen und uns nicht sonderlich viel bewegen, wird uns nach dem anstrengenden Aufstieg relativ schnell kalt. So reissen wir uns schweren Herzens von dem faszinierenden Anblick los und treten den Rückweg an.
Über kurze steile und schräge Passagen kehren wir zum Hauptgipfel zurück und folgen dem Weg weiter Richtung Tal. Der steinige Pfad erfordert auch beim Abstieg unsere volle Aufmerksamkeit und lässt uns die kalten Finger schnell vergessen. Bei Nesheia biegen wir links ab und umgehen einige sumpfige Stellen, bevor wir über Stock und Stein wieder auf die Strasse gelangen.
So steil, abweisend und unbezwingbar der Volandstinden aus nördlichlicher Perspektive wirkt, so leicht ist er vom Süden her zu besteigen. Wer einen kurzen, aber knackigen Trailrun oder einfach nur ein Ziel für eine Wanderung mit spektakulärer Aussicht sucht, findet an dieser Spitze seine Nadel im Heuhaufen.