Es gibt vermutlich für jeden, der die eigenen Bilder auf Instagram veröffentlicht, früher oder später diesen frustrierenden Aha-Moment: wieso um alles in der Welt bekommt dieser nichtssagende, schlecht belichtete Beitrag von jemand anderem so viel Aufmerksamkeit (aka Likes) und das eigene, mit viel Mühe und Liebe zum Detail fotografierte Bild kommt über eine überschaubare Menge an Anstands-Likes nicht hinaus? Und wieso haben gefühlt alle anderen Fotografie-Accounts eine Follower-Zahl, die mindestens im oberen vierstelligen, wenn nicht gar fünf- oder sechsstelligen Bereich ist?
Es gibt sicherlich vieles auf dieser Welt, über das man sich ärgern kann (und teilweise vielleicht sogar sollte). Social Media Plattformen gehören nicht dazu. Punkt.
Dabei hilft es, wenn man versteht, wie diese Plattformen grundsätzlich funktionieren. In Anbetracht des aktuell einsetzenden Überlaufs von vielen fotografiebegeisterten Usern von Instagram zu VERO möchte ich dieses Thema einmal von einer etwas technischeren Seite her beleuchten und hoffentlich ein wenig zum Verständnis dieser Plattformen beitragen.
Instagram – der Platzhirsch
Instagram. Kennt jeder, hat jeder, braucht jeder. Oder etwa nicht?
Der unangefochtene Platzhirsch ist seit vielen Jahren am Markt und hat eine lange Reise von einem eigenständigen, rein auf das Teilen von Fotos ausgelegten Netzwerk hin zu einem Teil des Meta-Konzerns hinter sich. Mit der Zeit kamen neue Funktionen hinzu, andere verschwanden, manches kann eher in die Kategorie Spielerei verschoben werden, anderes ist zu einem gewissen Grad nützlich.
Irgendwann Mitte 2022 gab es für einige Benutzer ein Update, welches die neue Vorstellung des Meta-Konzerns (ehemals Facebook) von Instagram publik machte. Der neue Fokus auf Videos (sowie das von einem Algorithmus beeinflusste Einspielen vermeintlich relevanter Beiträge anderen User, die nicht unbedingt dem eigenen Freundeskreis angehören) sorgte für reichlich Unmut bei den Benutzern. Abgesehen von der Tatsache, dass sich jede Online-Plattform weiterentwickeln muss und hierbei nicht alle User glücklich machen kann: spätestens zu diesem Zeitpunkt stellte sich insbesondere für Fotografen die Frage, wie sie mit Instagram weiter verfahren sollten.
Ein Foto ist – nun, offensichtlich ein Foto. Es ist ein Bild, es bewegt sich nicht und die Fotografin hatte bei der Erstellung eine bestimmte Szene vor Augen, eine bestimmte Stimmung, die sie einfangen wollte. Solche Szenen lassen sich oftmals nicht als Videos aufnehmen, schon gar nicht ohne einen immensen Aufwand. Wenn der Meta-Konzern nun also allen Fotografinnen und Fotografen (und das sind durchaus einige) sozusagen das Schaufenster zunagelt und ihre teilweise sehr aufwändigen Bilder als nur noch wenig relevant betrachtet, sind diese Individuen verständlicherweise not amused.
Algorithmen sind nicht so smart, wie man denkt
Hinzu kommt ein zweites Thema, welches ich in der Einleitung bereits kurz angeschnitten habe. Viele Social Media Plattformen wie Instagram, Facebook, TikTok oder LinkedIn erstellen ihren Feed (also den endlos scrollbaren Bereich, in welchem dem User neue Inhalte angezeigt werden) auf Basis von Algorithmen. Diese Algorithmen „entscheiden“ anhand eines bestimmten Sets von Parametern, wie relevant dein Beitrag für andere User ist. Mit etwas gesundem Menschenverstand stellt man sich nun schnell die Frage, woher ein Algorithmus „wissen“ soll, was für Inhalte die anderen User interessieren.
Schauen wir uns einmal an, was so auf Social Media passiert.
Du meldest dich an, gibst eventuell (je nach Netzwerk) ein paar Interessensgebiete an, folgst den ersten Accounts und siehst einige dieser Inhalte in deiner Timeline. Soweit so gut.
Nun fängst du vielleicht an, Beiträge zu liken, Kommentare zu schreiben oder Inhalte weiter zu teilen. Du teilst deine eigenen Bilder oder Videos und ermöglichst es dem Algorithmus, langsam eine Art Profil von dir und deinen (vermeintlichen) Interessen zu erstellen. Basierend auf diesen Interessensgebieten werden dir in Zukunft weitere Inhalte in der Timeline angezeigt. Das ist relativ simpel, lässt sich leicht beeinflussen (probiere es ruhig aus und like mal eine Woche lang nur Bilder von Katzen) und ergibt noch auf eine gewisse Art und Weise Sinne.
Nun teilst du als Fotograf deine eigenen Bilder. Vielleicht siehst du Instagram als das, was es ist: einfach nur eine Plattform, um deine Bilder anderen zugänglich zu machen und sie mit ihnen zu teilen. Fair enough, warum auch nicht. Instagram selber möchte allerdings, dass du nicht nur sporadisch ein paar Bilder teilst und deine wertvolle Zeit sonst nicht auf der Plattform verbringst. Sondern du mögest doch bitte möglichst viel und oft am Smartphone hängen und durch eines der fürchterlichsten je erfundene Design-Patterns in Instagram gefesselt bleiben: dem Infinite Scrolling Pattern. Das machst du natürlich nicht, denn vielleicht bist du Landschaftsfotografin und damit gerne und viel draussen in der Natur unterwegs. Oder du hast einfach an sich besseres zu tun.
Der Algorithmus, freundlich wie er ist, wird dich allerdings genau für dieses Verhalten abstrafen. Er wird deine Posts nur wenigen anderen Benutzern anzeigen und dich damit unbewusst zu den Paid Ads lenken, dem eigentlichen Business Model von Instagram. Also bezahlst du fleissig Geld dafür, dass Instagram deine Posts an mehr Benutzern ausspielt, gewinnst ein paar neue Follower (die dir dann wieder abspringen, sobald du mit dem Paid Content aufgehört hast) und erfüllst genau den Zweck von Social Media Plattformen, den sie eigentlich verfolgen: du finanzierst sie. Instagram hat Schätzungen zufolge insgesamt über 1 Milliarde Nutzer – wenn auch nur ein Prozent dieser User Werbung für 10 CHF machen, sind 10 Millionen CHF in die Kasse von Meta gespült worden. Klingt gut, oder?
Zurück bleibst du als frustrierter Benutzer, der entweder…
a) …mehr Geld bezahlt und irgendwann registriert, dass die Rechnung für sich nicht aufgeht oder…
b) …extrem viel Zeit auf Instagram verbringt um „sozial“ aktiv zu sein (in der Zeit aber nicht zum Fotografieren kommt) oder…
c) …früher oder später zu gekauften Followern greift.
Letzteres ist dann so ziemlich die grösste Verzweiflungstat, denn auch diese Bots (nein, auch bei noch so viel Beteuerung des jeweiligen Anbieters sind gekaufte Follower immer automatische Fake-Profile und Bots) vertuschen lediglich die deutlich geringen Anzahl echter Follower und Likes pro Beitrag.
Ein langer Absatz mit etwas frustrierendem Resultat. Aber was genau macht nun das relativ neue Netzwerk VERO so interessant für Fotografinnen und Fotografen?
VERO – die neue Social Media Plattform für Fotografen?
VERO gibt es seit 2015, es ist also nicht mehr ganz neu am Markt, aber doch deutlich jünger als Instagram (initialer Launch war hier im Oktober 2010). Stand heute 2022 (und das kann sich durchaus in der Zukunft ändern) macht VERO vor allem zwei grundlegende Dinge anders: der Feed ist chronologisch sortiert und es gibt bisher keine Werbung.
Das bedeutet, du bekommst einfach in der zeitlichen Reihenfolge die Posts angezeigt, die seit deinem letzten Besuch auf der Plattform erschienen sind (von den Accounts und Personen, denen du folgst). Sonst nichts. Es gibt keinen Algorithmus, der vorsortiert oder filtert und auch die Positionierung deiner Posts hängt nicht davon ab, ob du VERO brav mindestens drei Stunden pro Tag genutzt hast. Es gibt keine Möglichkeit, seine Posts per Paid Ads zu promoten. Die Likes oder auch Kommentare kommen immer von anderen Benutzern, denen deine Beiträge gefallen.
Neben einigen insbesondere für Fotografinnen und Fotografen relevanten Post-Typen, auf die ich gleich weiter eingehen werde, gibt es die Rubriken Music, Movie/TV, Book und Place. Bereits hier gibt es also deutlich mehr Möglichkeiten, als dies beispielsweise bei Instagram der Fall ist.
VERO bietet insbesondere für Fotografen einige weitere Vorteile:
- Wenn du bei VERO das Smartphone quer drehst, siehst du die Fullscreen-Variante eines Bildes und auch in der Desktop-App können die Bilder formatfüllend angezeigt werden. Das ist insbesondere für Fotografien schön, da man sich das Bild in einer akzeptablen Grösse und Qualität anschauen kann und nicht nur im Miniaturformat wie auf Instagram.
- Neben den oben erwähten Beitragstypen kannst du Bilder und Videos, aber auch Links teilen. Instagram hingegen erlaubt das Teilen von Links in Beiträgen nicht, sondern lediglich in der Profilbeschreibung – womit gefühlt jeder zweite Post den Hinweis „Link in bio“ enthält. Nicht sonderlich benutzerfreundlich, aber der User soll ja nicht die App verlassen, sondern Instagram weiter nutzen. Das macht VERO schon deutlich besser. Du kannst einfach einen Link in deinen Beitrag posten oder direkt die Kategorie „Link“ verwenden, womit dann auch die Link-Vorschau dargestellt wird.
- Durch die Verifizierung über die Mobilnummer bei der Registrierung ist eine weitere Hürde für Fake-Profile eingebaut. Diesen Schritt mag man aus einer Datenschutzperspektive etwas zwiegespalten sehen, wer allerdings Instagram oder Facebook nutzt, kann die Angabe der Mobilnummer eher als Peanuts betrachten. Immerhin verhindert dies bei VERO bislang doch recht zuverlässig die Registrierung von Unmengen von Fake-Accounts. Dementsprechend liegen auch die Follower-Zahlen selbst der bekannteren Accounts in einem realistischen Bereich, was man bei fünf- oder sechsstelligen Follower-Zahlen eines mittelmässigen Instagram-Accounts eher nicht behaupten kann.
Insbesondere auf Instagram gibt es die Spezialisten, die deinem Account folgen, nur um dir dann wenige Tage später wieder zu entfolgen, in der Hoffnung, dass du ihnen in der Zwischenzeit auch folgst. Hintergrund dieses Verhaltens ist ein weiteres Schmankerl des Instagram-Algorithmus: das Verhältnis der Anzahl deiner Follower zu den Accounts, denen du folgst, spielt eine Rolle für die Relevanz deiner Beiträge auf Instagram. Steckst du also sehr viel Zeit in das Erstellen von Beiträgen (und du wirst dich schwer tun, kontinuierlich hochwertige Landschaftsfotografie zu publizieren, man erinnere sich an Ansel Adam’s berühmter Aussage zu zwölf guten Bildern pro Jahr) und generierst damit neue Follower, wirst du vom Instagram-Algorithmus belohnt.
Fazit ist aber auch, dass es diese Spielchen auf VERO nicht braucht, denn aufgrund der chronologischen Sortierung spielt es keine Rolle, wie das Verhältnis Follower zu Following aussieht. Leider schwappt aber auch dieses Verhalten bereits von Instagram auf VERO über – ein typisches Beispiel dafür, dass es in den sozialen Medien im Grunde genommen oftmals so gar nicht sozial zugeht und das eigene Ego nur allzu oft im Vordergrund steht.
Man kann es vielleicht so zusammenfassen: es kursieren Unmengen an Tipps, Apps, Do’s & Don’ts im Internet, wie man auf Instagram mehr Follower oder Likes erzeugen kann. Am Ende vom Tag führen sie alle zum gleichen Verhalten: du verbringst mehr Zeit im sozialen Netz. Und da gibt es vermutlich wirklich besseres zu tun…
Pure Vero: Atmosphärische Landschaftsfotografie und spannende Insights: Auf VERO teilen wir regelmässig neuen und hochwertigen Content.
Instagram vs VERO – ein persönliches Resumé
Für mich persönlich haben soziale Netzwerke schon immer einen sehr überschaubaren Stellenwert gehabt, da nur allzu oft das extrovertierte Lärmen mit unrelevantem und inhaltslosem Content überhand nimmt. Ebenfalls bin ich persönlich nicht bereit, einen nennenswerten Teil meiner Zeit mit dem Scrollen durch Timelines zu verbringen und zu versuchen, mit meinem Verhalten einen Algorithmus so zu beeinflussen, dass die eigenen Posts entsprechend gewertet werden. Das ist bei einem Netzwerk, welches Posts rein chronologisch sortiert anzeigt, etwas anderes und ein Schritt in die richtige Richtung für mehr Qualität und weniger Nonsense.
Im Kontext von VERO gab es auch immer wieder Kritik am Gründer des sozialen Netzwerks. Der libanesische Milliardär Ayman Hariri wurde in der Vergangenheit für den Umgang mit Bauarbeitern der Baufirma Saudi Oger kritisiert, deren Geschäftsleitung er zeitweilig angehörte. Man muss persönlich weder hinter dem Gründer von VERO noch von Facebook stehen, sollte sich aber sicherlich mit beiden Personen beschäftigen und für sich selber entscheiden, ob sie mit den eigenen persönlichen Werten in Einklang zu bringen sind.
Der Wechsel zu VERO geschah für mich vor allem aus dem Grund heraus, dass ich die rein chronologisch sortierte Timeline als einen faireren Ansatz erachte, der den Fokus letzten Endes mehr auf den Inhalt der Beiträge legt. Auch auf VERO gibt es viel unsinnigen Content, auch auf dieser Plattform ist nicht alles Gold, was glänzt. Trotzdem hat man als Benutzer bisher den Eindruck gewinnen können, dass man sich auf die wichtigen Dinge im Leben konzentrieren und trotzdem Teil der Community auf VERO bleiben kann.
VERO hat natürlich bei weitem nicht die Benutzerzahlen von Instagram, allerdings sind gerade auf Instagram auch so viele Karteileichen unter den Benutzern, dass die reine Benutzerzahl nicht sonderlich aussagekräftig ist. Vielleicht ist das Motto „Klein, aber fein“ momentan das, was VERO am besten beschreibt – ob das in der Zukunft so bleibt, sei dahingestellt und wie die weitere Finanzierung von VERO in Zukunft abläuft, steht auch noch in den Sternen. Aber selbst mit einer bezahlten Mitgliedschaft, wie es bei der Fotografie-Plattform 500px schon lange der Fall ist, könnte ich leben, solange man dafür nicht mit unrelevantem Content zugespamt wird.
Exkurs: Energieverbrauch beim Scrollen durch Timelines
Es hat sich einfach etabliert, jeder kennt es, jeder macht es: scrollen durch Timelines aka Feeds. Das Prinzip ist das gleiche, egal ob auf Youtube, Instagram, Facebook, VERO, LinkedIn, you name it. Endlos rattern die News und Informationen auf den User ein, aus einem nie versiegenden Feed an Daten und Updates. Was für den bequemen User gerade recht kommt, hat jedoch energieseitig durchaus einen Preis.
Technisch passiert in diesen (Web-)Apps prinzipiell folgendes:
- Ich öffne den Feed.
- Die App lädt die ersten n relevanten Posts und zeigt sie mir an.
- Ich fange an zu scrollen.
- Wenn ich mich dem Ende des ersten Batchs an bereits geladenen Posts nähere (lokal verbleibende Posts <= i), lädt die App im Hintergrund bereits die nächste Ladung an Daten von den Servern des App-Providers herunter. Immer schön in kleinen Päckchen, denn das Nachladen soll performant sein und für den User gar nicht zu bemerken.
- Dieser Ablauf wiederholt sich nun immer wieder, so lange ich weiter in der Timeline scrolle.
- Mit jedem Request an den Server passieren die Datenpakete Knotenpunkte im Internet, Router, Switches, etc. Alles Geräte, die Strom benötigen und an denen ihrerseits wieder andere Verbraucher direkt oder indirekt hängen.
- Vermutlich wird auch mein Verhalten beim Scrollen der Timeline getrackt, so dass für den Anbieter des Feeds verständlich ist, über welche Art von Beiträgen ich einfach hinweg scrolle und wo ich innehalte. Dieses Verhalten wird ausgewertet werden und auch dort sind wieder Server im Einsatz.
- Kommen nun noch Trainings für Künstliche Intelligenz hinzu, sieht die ökologische Bilanz endgültig nicht mehr sonderlich gut aus.
Es gibt wenige brauchbare Studien zum Impact auf die Umwelt, wenn Menschen durch die Timelines und Feeds in sozialen Netzwerken scrollen. Zu abstrakt ist diese Fragestellung, zu alltäglich das Verhalten. Ob nun die durchschnittliche Belastung eines Instagram-Users der Umwelt rund 160 Meter Fahrt in einem leichten Fahrzeug entspricht, ob es etwas mehr oder weniger ist: Fakt ist, dass auch durch unser Verhalten am Smartphone, Tablet oder Laptop im Internet ein ökologischer Fussabdruck entsteht. Das kontinuierliche Laden neuer Inhalte gehört hier definitiv zu den weniger (ökologisch) sinnvollen Tätigkeiten.
Wenn du also das nächste Mal einfach nur gelangweilt und zum Zeitvertreib durch einen Newsfeed scrollst, kannst du dir dazu einfach mal ein paar Gedanken machen.