Pflotsch – schmatzend setze ich auf dem durchnässten Boden einen Fuss vor den anderen und versuche auf dem matschigen Wanderweg nicht auszurutschen. Meine Hände stecken in winddichten Fäustlingen, die Hose ist um die Knöchel voller Schlamm und von meiner Kapuze tropft der Regen in steten Tropfen an meiner Nasenspitze vorbei. Gleich ist der Abstieg vom Hoven geschafft und man könnte sich ernsthaft fragen, warum wir bei diesem S**wetter denn überhaupt unterwegs sind? Spulen wir also mal dahin zurück, wo alles begann und als es noch trocken war.
Der Hoven ist wohl der einsamste Berg auf den Lofoten. Die Spitze dieses frei stehenden Berges ragt im Nordwesten der kleinen Insel Gimsøya in die Höhe und abgetrennt vom Barstrandfjellet, welches die höchsten Gipfel der Inseln mit rund 600 Höhenmetern beheimatet, sieht selbst der 367m hohe Hoven recht eindrücklich aus. Die perfekte Wanderung für einen Tag mit spätem Aufstehen (Marina), einem langen gemütlichen Frühstück und tief hängenden Wolken. Das Wetter ist trüb, aber den ganzen Tag faul auf dem Sofa lungern entspricht dann auch nicht unserer Art, also holen wir die Goretex-Jacken raus und machen uns auf den Weg.
Regen, Sumpf und Sandstrand
Als wir unsere Rucksäcke am Auto schultern und unseren Weg quer über den Golfplatz von Lofoten Golf Links suchen, weht uns ein kalter Wind um die Nase und die feinen Tröpfchen des andauernden Sprühregens lassen uns frösteln. Meine Gedanken schweifen gleich auf den ersten Meter unseres Ausflugs ab, hin zu Aktivitäten, die ich mir bei dieser Witterung und kalten 5°C besser vorstellen könnte. Zum Beispiel eine warme Dusche, eine heisse Tasse Kaffee oder ein sonniges Plätzchen irgendwo im Süden? 🫣 Vorstellungskraft ist schon eine tolle Sache, aber bereits nach wenigen Minuten bin ich schon wieder im Hier und Jetzt, denn der Weg erfordert meine volle Aufmerksamkeit. Ein matschiger Wanderpfad, gepaart mit rutschigen Wurzeln und sumpfigen Pfützen, so gross, dass wir immer wieder weite Umwege gehen müssen, um halbwegs trockenen Fusses durchzukommen ist nicht der richtige Ort, um gedankenverloren durch die Natur zu streifen.
Aber wir haben Glück. Nach wenigen Minuten setzt der Regen aus, der Wind nimmt zumindest nicht zu und wir können nach einigen Höhenmetern von einem Plateau aus die Aussicht auf einen der berühmten Traumstrände der Lofoten geniessen. Unter uns breitet sich der Hovsvika Strand aus, dessen weisser Sand und türkisfarbenes Wasser diesem grauen Tag immerhin etwas Farbe verleihen. Irgendwie eine komische Mischung diesen karibisch anmutenden Strand bei winterlichen Temperaturen zu sehen – das geht in meinem Kopf noch nicht so recht zusammen. Schmatzenden Schrittes nehmen wir den weiteren Anstieg unter die Füsse.
Nebel und Schnee – der nordische Frühling
Wo sich in den Sommermonaten hier vermutlich etliche Touristen jeden Tag den schmalen Pfad zu diesem einfachen Aussichtspunkt mit gut 350 Höhenmetern Aufstieg teilen, begegnen uns im Frühling gegen Ende April nur wenige andere Menschen. Genau genommen vier – und das auf der gesamten Tour. Und die sind alle im Abstieg als wir uns noch auf dem Weg nach oben befinden, was bedeutet, dass wir den Gipfel für uns alleine geniessen dürfen.
Am Gipfel-Steinmännchen angekommen bricht die Bergflanke direkt unter uns steil ab und unsere Blicke streifen über den Vikspollen, einem kleinen Meeresarm, der sich in einem Muster aus dunklem und hellem Türkis dort unten ausbreitet. Das Meer schimmert fast surreal und bildet einen beeindruckenden Kontrast zum Grün und Braun der Pflanzen an Land, die erst vor kurzem von der winterlichen Schneedecke befreit wurden, sowie den schwarzgrauen Felsen, die die Landschaft prägen. Die wenigen Häuser und Strassen sehen aus der Höhe wie in einer Modelllandschaft aus und die Ruhe, die hier oben herrscht wird nur durch den Wind geprägt, der uns um die Ohren pfeift.
Aber die Freude über die Aussicht ist leider nur von kurzer Dauer. Während bisher die meisten Wolken in den grösseren Bergmassiven hingen, schieben sie sich jetzt immer mehr tief hängend um den Gipfel des Hoven und wir können jeweils nur noch für ein paar Sekunden schemenhafte Blicke in die Tiefe erhaschen, bevor alles im totalen Whiteout versinkt. Unsere Überlegung, noch ein wenig in der Kälte auszuharren, auf ein Wolkenloch zu warten und evtentuell doch noch ein paar schöne Ausblicke zu ergattern, lösen sich beim nun einsetzenden Schneefall schnell in Luft auf. Wir beschliessen den Abstieg in Angriff zu nehmen.
Wir stecken zwar inmitten einer Wolke, aber die Sicht ist gut genug, um den Weg ohne Probleme zu finden. Und bereits nach einigen Höhenmetern befinden wir uns wieder unterhalb der Wolkendecke und können die Aussicht auf die Küste geniessen. Von oben allerdings kommt nun anstatt Schnee Regen, der auf uns niederprasselt und gefühlt mit jedem Meter, den wir an Höhe verlieren, an Stärke gewinnt. Genau so habe ich mir den nordischen Frühling vorgestellt – nass, kalt, regnerisch und heute erfüllt er tatsächlich jedes dieser Klischees. Und insgeheim hoffe ich, dass er das nicht jeden Tag tut und wir uns in den kommenden Tagen auch noch über ein wenig Sonne freuen dürfen.
Aprilwetter auf den Lofoten
Mit nassen Hosen und tropfenden Rucksäcken erreichen wir den Parkplatz und können es kaum erwarten, wieder im trockenen Auto zu sitzen und unsere Fingerspitzen vor den Warmluftdüsen während der Fahrt aufzuwärmen. Trotz Regen, Nebel und Kälte sind wir von der Wanderung auf den Hoven begeistert. Die wenigen Ausblicke, die uns gegönnt waren, haben uns die Möglichkeit gegeben, die Insel Gimsøya und die umliegende Küste von oben zu sehen und es hat uns ein weiteres Mal in den Bann der Landschaft auf den Lofoten gezogen. Am Abend verziehen sich die Regenwolken und wir kommen noch einmal in den Genuss der wärmenden Strahlen, bevor sie hinter dem nächsten Berg verschwindet. Das Aprilwetter auf den Lofoten – auf jeden Fall immer für eine Überraschung gut.