Der Breitinden auf den Lofoten
Karte und Route anzeigen
StoriesAugust 2024

Schmale Wege, steile Flanken: Der Breitinden entpuppt sich als der doch nicht so perfekte Berg fürs Trailrunning, dafür um so mehr für grandiose Aussichten und gutes Trainingsgelände gegen Marinas manchmal hervortretende Höhenangst.

“Wie habe ich mich nur in diese Situation manövriert?” schiesst es mir durch den Kopf. Mir ist heiss und kalt zugleich und ich traue mich weder vor noch zurück. Mein Atem geht schnell und mit weichen Knien sitze ich auf dem schmalen Band, das der Wanderweg ist (oder sein soll). Ich versuche mich selbst zu beruhigen, versichere mich, stabil zu stehen und konzentriere mich auf das kleine Fleckchen Erde vor mir. Stachelige Grashalme und niedrige Kräuter wachsen an der steilen Flanke. Grauer Fels ist bedeckt mit loser dunkelbrauner Erde. Ich atme tief ein und ganz langsam wieder aus und mein Puls beruhigt sich merklich. Heute schlägt meine Höhenangst mal wieder voll zu – und das nervt! Denn ich will nicht hier sitzen und Angst haben, sondern einen coolen Trailrun machen. Aber wo bin ich hier eigentlich?

Eigentlich hat der Tag hier auf den Lofoten ganz gut angefangen und nach einem ausgiebigen Frühstück mit reichlich Freia-Schokoladencreme haben wir uns auf den Weg gemacht. Unsere Route startet in Mortsund, direkt beim Lofoten Seafood Center. Der schmale Wanderweg auf der gegenüberliegenden Strassenseite ist kaum auszumachen und nicht markiert. Aber da es keinen anderen gibt, sind wir uns ziemlich sicher, dass wir an der richtigen Stelle sind. Mit der Sonne im Rücken laufen wir los und überspringen von einem Stein zum anderen die matschigen Pfützen - ein typisch norwegischer Küstenweg. Nach den ersten hundert Höhenmetern nimmt der Pfad aber schnell an Steilheit zu und aus dem Joggen wird ein zügiges Gehen. Damit haben wir allerdings gerechnet, waren die wenigen online auffindbaren Beschreibungen dieser Tour doch recht eindeutig : Hier geht's steil zur Sache. Beim Gehen bleibt, im Gegensatz zum Rennen, wo ich mich doch mehrheitlich auf den Weg konzentrieren muss, mehr Zeit zum Herumschauen und Staunen und die Landschaft, in der wir uns befinden, lädt förmlich dazu ein. Die vielen roten Rorbuer, die sich unter uns an die Küste schmiegen, sehen aus wie Perlen, die auf eine Schnur aufgezogen sind und das typisch leuchtende Falunrot der Holzfassaden steht im starken Kontrast zum blauen Wasser und den grün-braunen Grasmatten der umliegenden Berge.

Immer wieder wechseln sich im weiteren Verlauf schroffe Passagen mit kurzen "joggbaren" Abschnitten ab und schon bald stehen wir auf dem Gipfel des 300 Meter hohen Middagstinden. Unter uns breitet sich der Atlantische Ozean aus und wir geniessen die wunderbare Rundumsicht. Die Sonne versteckt sich mittlerweile hinter einer dicken Wolkendecke und der Wind hat empfindlich aufgefrischt. Auf dem ausgesetzten Gipfel wollen wir keine Zeit verlieren, denn unsere verschwitzten Körper kühlen rasch aus. Zügig steigen wir einige Meter ab, um wieder auf den Weg zu kommen, dessen weiteren Verlauf wir folgen. Immer dem schmalen Grat entlang.

Das Terrain wird schwieriger, die Querungen durch das steile Gelände verlaufen auf äusserst schmalen Trampelpfaden, die teilweise bröselig oder ausgebrochen sind und die steilen Aufstiege lassen mich auch mal beherzt zugreifen. An einer Stelle jedoch meldet sich meine Höhenangst zu Wort und zwingt mich erst einmal zum Anhalten. “Du spinnst wohl, siehst du nicht wie steil das ist?” warnt mich die Vorsicht liebende Stimme in meinem Kopf. "Doch, sehe ich natürlich, aber ich seh ja auch den Weg." kontert meine Abenteuerlust. "Und da ist Falko, wie er ohne Probleme weiter geht. Und ein Wanderer ist auch noch unterwegs, gleich da oben. So schwer kann es ja nicht sein." So, oder so ähnlich laufen diese Situationen in meinem Kopf ab. Wenn die Angst siegt, kehre ich an solchen Stellen um und ziehe mich zurück. Aber heute nicht. Falko bietet an, dass ich hier, oder ein Stück weiter unten warten kann, während er noch weiter läuft, aber ich weiss, dass er mich eigentlich gerne dabei hätte. Er möchte mit mir zusammen weiter laufen. Ich nehme mir ein paar Minuten Zeit und nachdem ich wieder ruhiger atme und die Situation mittlerweile weniger bedrohlich wirkt, stehe ich ganz langsam auf und gehe weiter. Meine Höhenangst ist zwar noch anwesend, aber erst mal hält sie die Klappe. Schritt für Schritt erkämpfe ich mir meinen Mut zurück. Heute bin ich stärker als die Angst und ein bisschen stolz auf mich selbst.

Bis zum Gipfel des Breitinden schaffen wir es dennoch nicht ganz. Kurz vor Kamman, auf einem namenlosen, circa 470 Meter hohen Gipfel, beschliessen wir, unser Ziel, den Gipfel des Breitinden auszulassen. Der Wind kühlt uns mittlerweile trotz Anstrengung schneller aus, als uns lieb ist und sobald wir auch nur eine Minute stehen bleiben, wird uns trotz warmer und winddichter Laufjacken, sofort bitter kalt. Wir beschliessen den Rückzug anzutreten, bevor wir komplett durchgefroren sind, denn schliesslich muss ich alles, was ich bis hier hin hinaufgekraxelt bin, auch wieder irgendwie hinunter kommen. Bei dem Gedanken bekomme ich jetzt schon weiche Knie, aber es hilft ja nichts. Also nehme ich meinen Mut zusammen, drehe mich um und ab geht's Richtung Mortsund und Küste.

Erstaunlicherweise klappt der Abstieg besser, als ich erwartet hätte und die ausgesetzten Querpassagen fallen mir (zumindest ein bisschen) leichter, als noch im Aufstieg. Mein Selbstvertrauen kehrt zurück und als wir nach ein paar heiklen Stellen wieder am Gipfel des Middagstinden stehen, fällt die Anspannung endgültig von mir ab. Ich drehe mich noch einmal um die eigene Achse und sauge dieses unglaubliche 360° Panorama gedanklich auf. Die lockere Wolkendecke, die vereinzelt Sonnenstrahlen aufs Meer hinunter strahlen lässt, die kleinen und grösseren Inseln, die vor uns aus dem Atlantik ragen, die kaum erkennbaren Gipfel drüben auf dem Festland und in direkter Nähe unter uns Leknes und Gravdal und unterhalb des Gipfel des Nonstinden schmiegt sich Ballstad an die Küste. Jetzt aber schnell weiter, bevor uns noch kälter wird und die Muskeln steif werden.

Verfroren und mit einer riesigen Vorfreude auf eine heisse Dusche erreichen wir kurze Zeit später den Parkplatz am Seafood Center, unseren Ausgangspunkt. Auch wenn wir den eigentlichen Gipfel diesmal nicht erreicht haben, so habe ich dennoch einen wichtigen Schritt geschafft - nämlich einen nach vorne, um meiner Höhenangst entgegenzutreten, anstatt beim ersten Anzeichen von Unsicherheit sofort umzudrehen und klein bei zu geben. Vielleicht ist das sogar besser als “nur” ein Gipfel.

Mir ist durchaus bewusst, dass es einen Punkt gibt, an dem man bei einer Tour unbedingt umdrehen sollte und ich möchte niemanden falschen Mut zusprechen. Jeder muss im jeweiligen Moment selbst entscheiden, ob ein Weitergehen sinnvoll und vertretbar ist, oder es die Situation nur verschlimmern würde. An diesem Tag habe ich mich so gut gefühlt, dass ich ziemlich sicher war, den Weiterweg wagen zu können. Hör auf dein eigenes Bauchgefühl, wenn du unterwegs bist und lass dich auch in einer Gruppe niemals unter Druck setzen, wenn dir nicht wohl dabei ist.

Artikel teilen

Über Marina Kraus

Marina Kraus
Marina erzählt in ihren authentischen Texten emotionale Geschichten und lädt unsere Community zu spannenden Gedankenreisen in atemberaubende Landschaften ein. Von den majestätischen Alpen bis zu den endlosen Weiten des Nordmeers nimmt sie ihre Leser auf sportliche Abenteuer mit und wirft einen Blick hinter die Kulissen. Als Wanderguide teilt sie ihre Leidenschaft für die grossen und kleinen Wunder der Natur und lädt euch ein, gemeinsam zur nächsten Wandertour aufzubrechen.
Biografie lesen