Es ist heiss an diesem Tag, und eigentlich ist mir so gar nicht nach Trailrunning. Die Vorstellung, mich bei bereits 25 °C am Frühstückstisch später einen Berg hochzuquälen, erscheint mir absolut abwegig. Doch dann kommt Falko mit einer Idee um die Ecke, die mich unerwartet aus der Reserve lockt – und die Hitze zumindest für den Moment vergessen lässt.
Sein Vorschlag: Wir könnten die Suone von Ergisch laufen. Bei mir löst das erstmal nur Fragezeichen aus. Noch nie gehört – wo soll das denn sein? Ein kurzer Blick auf die Karte gibt schnell Antwort. Obwohl ich schon unzählige Male auf der Walliser Kantonsstrasse unterhalb von Ergisch entlanggefahren bin, war mir dieses kleine Dorf oberhalb von Gampel bisher völlig entgangen. Und schon ist mein Interesse geweckt. Ein Nutellabrötchen später packen wir unsere Laufrucksäcke – Wasser, Müsliriegel, Trailrunning-Stöcke – und wenig später stehen wir am Bahnhof von Gampel, unserem Ausgangspunkt für den Trailrun. Um es uns nicht zu einfach zu machen (es hat ja mittlerweile erst 30 °C hier unten im Tal), starten wir nicht in Ergisch, sondern direkt im Tal. Bei sengender Hitze überqueren wir die Kantonsstrasse, und mir ist jetzt schon nach einer Abkühlung zumute. Trotzdem schultern wir motiviert unsere Rucksäcke und nehmen die rund 450 Höhenmeter in Angriff, die uns von dem kleinen Bergdorf trennen.

Über schmale, steile und teils ziemlich zugewachsene Pfade führt uns die Route kreuz und quer über die südliche Talseite hinauf nach Ergisch. Wir sind froh, dass wir die meiste Zeit im Schatten der hohen Bäume unterwegs sind und der Hitze zumindest ein wenig entkommen. Die Sonne erreicht gerade erst die schmalen Strassen des Dörfchens, als wir in Ergisch ankommen. In den mit Kopfsteinpflaster gesäumten Gassen ist herzlich wenig los. Der kleine Dorfladen liegt verschlafen an einer Ecke, und an einer Wegkreuzung plätschert ein Brunnen. Kühles Nass an heissen Tagen – definitiv einen Stopp wert. Während Falko sich mit der Kamera beschäftigt, tauche ich Hände und Arme unter das fliessende Wasser. Es ist so eiskalt, dass ich unwillkürlich zu zittern beginne.
Die Abkühlung tut gut. Mit kleinen Schritten folgen wir dem steilen Wegabschnitt, der uns aus Ergisch hinausführt. Wo ist denn nun endlich die Suone? Wieder tauchen wir ein in einen schmalen Wald- und Wiesenweg, weichen unzähligen Schnecken aus, die sich hier breitgemacht haben, und arbeiten uns Meter um Meter weiter nach oben. Der Pfad liegt wieder vollständig im Schatten, und wir geniessen die morgendliche Frische, die hier in der Luft hängt. Ein letzter Aufschwung – und dann stehen wir endlich an der Ärgischer Wasserleitung. Ab jetzt wird’s zwar nicht so flach, wie wir das von anderen Suonen kennen, aber immerhin flach-er.

Entgegen der Fliessrichtung folgen wir der Bisse, die uns mal als schneller Wasserlauf, dann wieder als plätschernder Bach an kleinen Geländestufen entgegen sprudelt. Glucksend spulen wir die Kilometer ab und tauchen immer tiefer ein ins Turtmanntal. Das schattige Gelände lässt uns die Hitze des Tals vollkommen vergessen, und die Beine laufen jetzt fast wie von selbst. Erst als wir die Brücke über die Turtmänna erreichen und auf die Sonnenseite wechseln, werden wir schlagartig daran erinnert, wie heiss dieser Tag eigentlich ist. Zum Glück geht’s ab hier nur noch bergab. Mit den purzelnden Höhenmetern steigen allerdings auch die Temperaturen – und ehe wir uns versehen, schwitzen wir auf dem Weg ins Tal fast mehr als am Morgen beim Aufstieg nach Ergisch.
Rund 200 Höhenmeter über dem Talboden fädeln wir ein letztes Mal in einen Suonenweg ein, diesmal entlang der Unter Riederu. Mittlerweile sind meine Beine schwer, die Trinkflaschen leer, und der letzte Müsliriegel ist schon lange Geschichte. Es wird höchste Zeit, dass wir ankommen. Doch wenig charmant landen wir schliesslich auf der Kantonsstrasse – ohne Fussweg, dafür bei inzwischen heissen 35 °C. Wie sehr wünsche ich mich in diesem Moment zurück an den Brunnen, dort oben in Ergisch. Noch 800 Meter bis zu unserem Ziel.

Die Ärgischer Wasserleitu ist vielleicht weniger spektakulär, als wir es erwartet hatten – dafür hat sie uns mehr gefordert, als gedacht. Für einen Hitzetag war die Route am Morgen allerdings genau die richtige Wahl. Und wer im Gegensatz zu uns den Abstieg über den Wanderweg bei Ober Ried wählt, anstatt entlang der Kantonsstrasse zu laufen, findet hier eine Tour, die mit einer schönen Suone und einsamen Trails überzeugt.