Trailrunning im Schatten der 4000er
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StoriesSeptember 2024

Ein knapp 27 Kilometer langer Rundkurs mit über 1'800 Höhenmetern: die Trailrunning-Strecke via Plattjen, Egginerjoch, Morenia und Hannig führt einmal rund um den Talkessel von Saas Fee, inmitten der Arena aus mehreren 4000ern.

Wir haben uns noch gewundert und etwas gelästert, über dieses Pärchen in dem italienischen Camper, nachdem sie mit dem landestypischen Temperamento über den Stellplatz in Saas Fee gebrettert sind und in Windeseile ihr Frischwasser mit dem durchaus gut markierten Wasserschlauch, der für die Reinigung der WC-Kassette gedacht ist, aufgefüllt haben. Aber es war schon zu spät zum Warnen, der Magen-Darm-Gesundheit zuträglich war dieser Schritt aber vermutlich nicht. Und wie man so schön sagt: wer über andere lacht... Aber der Reihe nach.

Plattmachen am Plattjen

Tiefe Ruhe herrscht noch um diese Tageszeit, als ich mich recht früh am Sonntag Morgen auf den Weg zu einer Trailrunning-Runde rund um den Talkessel von Saas Fee mache. Marina ist nach einem kleinen Eingriff am Fuss noch etwas gehandicapt und ich starte daher heute alleine.

Los geht's mit einer Treppe, was für gewöhnlich nach den ersten hundert Metern bereits zu der drängenden Frage führt, wie zum Teufel ich die restlichen knapp 27 Kilometer überstehen soll, wenn es bereits hier so in den Beinen schmerzt. Aber natürlich weiss ich, dass die Muskeln derart unaufgewärmt sofort übersäuern und sich dieses Gefühl auch bald wieder geben wird. Vorbei an misstrauisch starrenden Menschen beim Frühstück im Wellnesshostel Saas Fee überquere ich die markante Brücke über die Schlucht und biege nach einem kurzen Lauf in Richtung des idyllisch gelegenen Waldhüs Bodmen (wer gutes Rösti mag, wird hier fündig!) in den Suonenweg ein.

Moment mal, ein Suonenweg in Saas Fee? Suonen finden sich doch vor allem im Unterwallis? Stimmt, hatte ich auch gedacht, aber es gibt tatsächlich hier am Rande von Saas Fee eine rund einen Kilometer lange Suone, die sich idyllisch rauschend durch den Bergwald schlängelt. In diesem Wald befindet sich auch der weitläufige Hochseilgarten, irgendwo zwischen den Bäumen klirrt und klingeln auch die Karabiner am Klettergurt einer Frau, die gerade die Anlage auf den Ansturm der Gäste vorbereitet.

Vor mir bimmelt es jetzt auch vernehmlich, aber glücklicherweise muss ich durch die kleine Mutterkuhherde nicht direkt hindurch laufen, sondern biege scharf links ab in eine Art grüne Wand, die meinen lockeren Dauerlauf abrupt in ein viel zu keuchendes Hinaufstapfen verwandelt. Habe ich mich verlaufen? Nein, ein paar Meter weiter treffe ich wieder auf den eigentlich deutlich flacheren Wanderweg, den ich aus Versehen für ein paar Meter im hohen Gras abgekürzt habe. Nun geht es auch wieder flotter und einfacher und stetig gewinne ich Meter um Meter an Höhe, hinauf in Richtung des auf 2'409 m Höhe gelegenen Berghaus Plattjen.

Ein Drittel der heutigen Höhendifferenz habe ich bei meiner Ankunft an dem im Sommer geschlossenen Berghaus bereits hinter mich gebracht. Die Sonne kommt langsam über die Berggipfel östlich von mir und mit ihr ein kühler Wind, der mich zu einer kurzen Pause zum Anziehen meiner Windjacke zwingt. Ausser einem durch Mark und Bein gehenden Pfeifen eines aufgeschreckten Murmeltiers habe ich noch kein anderes Wesen hier im Aufstieg getroffen, die Sommersaison geht offensichtlich langsam zur Neige und mir ihr die Menge an Wanderern.

Morgens unter dem Mittaghorn

Das Berghaus Plattjen ist nicht gleichzusetzen mit der Bergstation Plattjen, von der mich noch rund 150 Höhenmeter trennen und die ich nun in etwas flacherem Gelände zurücklege. Bis hierher fährt im Winter die Seilbahn mit Beginn der Skipisten nach Saas Fee und ab hier beginnt für meinen Trailrun der technisch anspruchsvollste Teil des Weges, den ich heute zurücklegen möchte.

An der Ostflanke des durch einen Klettersteig erschlossenen, 3'142 m hohen Mittagshorn entlang führt der weiss-rot-weiss markierte Wanderweg durch eindrückliche Geröllhalden, die zwar gut markiert, aber dennoch mit Vorsicht zu begehen sind. Auch wenn die meisten der grossen Felsplatten, die als Tritte dienen, stabil liegen, so muss ich trotzdem aufpassen. Einen umgeknickten Fuss möchte ich mir hier nicht leisten. Ein markanter Steinmann dirigiert mich hoch über dem Saastal mit Blick auf Saas Almagell und den Mattmarkstausee in Richtung Heidefridhof, wobei es sich hier nicht um einen Friedhof handelt, auch wenn meiner Recherche nach offenbar Kult- und Opferstätten der Kelten zur Namensgebung beigetragen haben.

Die langsam ansteigende Querung durch das Meiggerental verlangt von mir im Moment auch noch das ein oder andere Opfer in Form von Kalorieren, bevor ich nach einer letzten Geröllfeldquerung diesen idyllischen Platz erreiche und mich in der nun wärmer werdenden Luft meiner Jacke wieder entledigen kann. Wenige Meter und eine etwas luftigere Querung später, die mit Seilen gesichert ist, zweigt linkerhand von mir der Wanderweg hinab in Richtung Zermeiggern/Saas Almagell ab. Ich halte mich aber rechts und befinde mich alsbald unter dem markanten Egginer, jenem 3'368 m hohen Berg, der während der Anfahrt nach Saas Fee das Saastal mit seiner prominenten und eckigen Gestalt dominiert.

Mondlandschaften

Das Landschaftsbild verändert sich rapide, nachdem ich mich jetzt südseitig unterhalb des Egginer befinde. Der Weg verzweigt sich erneut und würde mich linkshaltend zur Britanniahütte auf 3'027 m führen. Meine geplante Route verlässt jedoch den weiss-blau-weiss markierten Hüttenzustieg und lässt mich weitere 200 Höhenmeter zu meinem heutigen höchsten Punkt, dem 2'988 m hohen Egginerjoch, hinauf laufen. Wobei mein Laufen gerade eher in Richtung zügigem Wandern tendiert – im Moment befinde ich mich irgendwie im roten Bereich und die zurückgelegten Höhenmeter verlangen offenbar nach etwas mehr Kalorienzufuhr – ein Defizit, welches ich oben am Joch auszugleichen gedenke.

Bis dahin muss ich allerdings noch einige Minuten durchhalten, bin dann aber doch ganz froh, als ich oben am Eggineerjoch ankomme und eine kurze Pause einlegen kann, um die mich umgebende Mondlandschaft etwas genauer zu betrachten. Im Winter unter einer weissen Decke begraben, in den Sommermonaten jedoch schonungslos offen gelegt: so präsentiert sich das mit Schutt und Geröll bedeckte Gelände rund um das Egginerjoch und bis hinunter zu meinem nächsten Wegpunkt, der Mittelstation Morenia auf 2'580 m. Ab und an durchzogen von festplanierten Rampen für die Skipisten und südseitig umrandet von den aperen Eismassen des Feegletschers, der vom Allalinhorn und dem Alphubel herunter zieht.

Es ist eine Mischung aus abstossend und gleichzeitig faszinierend, die landschaftsformende Arbeit des Gletschereises der Jahrzehnte und Jahrhunderte so vor mir ausgebreitet zu sehen, eingerahmt von der gewaltigen Szenerie der Mischabelkette mit Alphubel, Täschhorn, Dom und Lenzspitze, die mit ihren hohen, felsigen Ostwände alles dominieren.

Nach hoch kommt runter

Getrunken, gegessen, geschaut und etwas geruht – die Reise kann weitergehen. Vor mir liegt nun ein langer Abstieg mit vielen Höhenmetern bis beinahe wieder nach Saas Fee herunter, bevor ich hinüber zum kleinen Berggasthaus Gletschergrotte laufen werde und von dort den Anstieg in Richtung Hannig in Angriff nehmen kann.

Zuerst einmal folge ich einem steilen Wanderweg über ein paar letzte kleine Schneefelder hinweg in Richtung Morenia. Schneefelder und Trailrunning-Schuhe sind immer eine etwas heikle Angelegenheit, denn im Gegensatz zu Bergschuhen kann man sich durch die relativ weiche Sohle kaum selber Tritte in den Schnee treten. Hier sind jedoch bereits Spuren vorhanden und auch das Auslaufgelände des Schneefeldes ist vertretbar. Dennoch kann diese Kombination aus Schneefeld und Laufschuhe im Hochgebirge zu unschönen Situationen führen, wo um das Umdrehen kein Weg vorbei führt. Mit Stöcken und ein paar Punkten Abzug in der Stilnote lässt sich die Passage hier aber gut meistern und wenig später renne ich auf dem erstaunlich ebenen Untergrund der Skipisten direkt nach Norden auf die Seilbahnstation zu. Direkt über mir gleiten die beiden Seilbahnen geräuschlos zur höher gelegenen Station Felskinn, die sich auf exakt derselben Höhe wie das Egginerjoch befindet.

Bei Morenia gibt's nochmals einen Energieriegel in den Magen und auf das Mobiltelefon die Nachricht von Marina, dass sie an der Gletschergrotte sei und es dort einen Brunnen mit Trinkwasser gäbe – perfekt für mich zum Auffüllen meiner Trinkflaschen. Dann folgt Kehre um Kehre auf einem steilen Wanderweg hinab, das Dorf Saas Fee kommt näher und näher und der Moment, an dem auch die auf der gegenüberliegenden Talseite sichtbare Bergstation Hannig wieder höher als mein Standpunkt liegt, schmerzt ein wenig – weiss ich doch, dass mein Höhenmeterkonto nun ins Negative geht und ich später auf der anderen Seite wieder hinauf muss.

Szenenwechsel

Würde ich bei P. 2190 geradeaus weiterlaufen, käme ich direkt wieder zu meiner Aufstiegsroute von heute morgen. Ich biege jedoch scharf links ab und laufe geradewegs in ein völlig verändertes Landschaftsbild mit einem kleinen Wäldchen hinein – der krasse Gegensatz zu der Mondlandschaft wenige hundert Meter oberhalb von mir. Ein tosendes Rauschen ist vor mir zu hören: die Wassermassen von den oberhalb liegenden Gletschern, die sich ihren Weg ins Tal suchen.

Mit einer Brücke endet nun erstmal der Abstieg und nach kurzer Zeit und einem kleinen, giftigen Gegenanstieg erreiche ich den Weg zur Gletschergrotte. Am Brunnen fülle ich meine Wasserflaschen wieder auf und erfülle anschliessend ungewollt alle anwesenden Gäste auf der Hüttenterasse mit Belustigung, als ich mich auf diesen wenigen Quadratmetern verlaufe und kurzzeitig den falschen Weg wähle. Warum muss denn der Wanderweg auch genau über die Terrasse führen, sich dort verzweigen und dann noch recht klammheimlich hinter der Hütte entlang verschwinden, wo ihn niemand sucht?

Nach kurzem Wirrwarr befinde ich mich wieder auf der gewünschten Route, habe meine Schmach überwunden und folge dem verblockten Pfad hinunter in das Flussdelta des kleinen Gletschersees. Es ist erstaunlich, was für eine landschaftliche Vielfalt der insgesamt ja nicht gerade riesengrosse Talkessel rund um Saas Fee zu bieten hat – ein mehrere hundert Meter langes Flussdelta erwartet man hier nicht unbedingt. Über mehrere kleine Brücken gelange ich auf die andere Seite der vielen Wasserläufe und befinde mich nun auf einer alten Moräne, die den Beginn des finalen Anstiegs hinauf zur Bergstation Hannig markiert.

Vom Trailrunner zum Geissenpeter

Nach rund einhundert Höhenmetern ein scharfer Rechtsknick, dann eine lange Querung und schliesslich 15 scharfe Serpentinen, die mich rasch wieder in die Höhe bringen. Etwas oberhalb vor mir meine ich, die pinke Hose und den orangenen Rucksack von Marina entdeckt zu haben, die mir bereits geschrieben hat, dass sie auch den Wanderweg in Richtung Hannig wählen wird. Ein Stückchen weiter, im Talkessel unterhalb der Mischabelhütte, sehe ich sie dann auch, vor allem aber sehe ich Dutzende von Ziegen, die sich wie die Orks in Moria von den Berghängen herabschlängeln, um sich auf genau dem Wanderweg zu vereinen, den ich in Richtung Hannig zu nehmen gedenke. Der Hirte steht etwas erhöht auf einem Felsvorsprung und spielt auf einer Art Flöte eine Ziegen-animierende Melodie – es wirkt wie die Walliser Ausgabe von Heidi. Vermutlich stammen die Ziegen von der Alp Hannig, die sich etwas weiter unterhalb befindet, hundertprozentig sicher bin ich mir allerdings nicht.

Es ist ein idyllischer Anblick, der nur leider meine (zugegebenermassen etwas eigennützigen) Pläne für ein rasches Vorankommen als Trailrunner zunichte macht. Ein kleiner Wettlauf entsteht kurz vor einer schmalen Brücke, die mich hinüber zu Marina führen würde, aber natürlich wird der Wettkampf überragend von den Ziegen gewonnen – die Lanterne Rouge geht an mich, aber mein Ego ist ja ohnehin bereits auf der Terrasse der Gletschergrotte verloren gegangen.

Ein kurzes Wiedersehen mit Marina, ich bekomme noch etwas zu Trinken und dann nehme ich die Verfolgung meiner tierischen Konkurrenten auf, bevor sich von hinten das nächste Rudel mit Dutzenden von Tieren nähert. Einige hundert Meter lang vollführe ich einen Spagat aus Ziegen überholen (immer nur bergseitig, sie schubsen nämlich gerne...) und Ausweichen vor plötzlichen fäkalen Ergüssen aus direkt vor mir laufenden Ziegen, bevor ich es dann geschafft habe und die letzten Meter zur Hannig wieder im Lauftempo zurücklegen kann.

Nun stehen mir noch gute 500 Höhenmeter Abstieg auf flowigen Trails bevor, die ich schnell im Angesicht der sich nähernden dunklen Wolkenmassen hinter mich bringe. Mit nahezu perfektem Timing endet mein Lauf wenig später und fällt exakt mit Marinas Ausstieg aus der Seilbahn zusammen – eine eindrückliche und aussichtsreiche Trailrunning-Runde in diesem landschaftlich beeindruckenden Talkessel unterhalb der Walliser 4000er geht zu Ende.

Nun fehlt nur noch der Brückenschlag zu unseren italienischen Camping-Kollegen aus der Einleitung: denn während ihr aus hygienischer Perspektive betrachtet relativ dämliches Verhalten wie so oft vermutlich ohne Folgen verlaufen ist, holt mich in der darauffolgenden Nacht ein übles Magen-Darm-Virus ein. Die Kombination aus einem durch längere körperlichen Anstrengung dehydrierten Körper und daraufhin geschwächten Immunsystem mit einem Virus ist keine sonderlich tolle Sache. Der Flüssigkeitsverlust nimmt schnell Dimensionen an, die an die gesundheitliche Substanz gehen. Ob es an dem Wasser aus den Brunnen lag (vermutlich nicht, da es sich dabei um Trinkwasser handelte), irgendeinem flüchtigen Kontakt mit den Ziegen oder etwas ganz anderes – ich weiss es nicht, aber es ist ein unschöner Abschluss einer eigentlich coolen Trailrunning-Runde rund um Saas Fee. Aber auch solche Erfahrungen gehen vorüber und zurück bleiben die schönen Erinnerungen.

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Über Falko Burghausen

Falko Burghausen
Falko erhebt die Fotografie zu einer Kunstform, die jenseits einfacher Abbildungen liegt. Seine künstlerische Vision erlaubt es ihm, die Seele der eindrucksvollsten Momente einzufangen und in zeitlose Bilder zu verwandeln. Mit einem Auge für Details und einem Gespür für die Schönheit der Welt, schafft er Bilder, die Emotionen wecken und die Betrachter in ihren Bann ziehen. Als Swiss Athletics-zertifizierter Trailrunning-Guide steht er immer vor der Qual der Wahl, denn die Kamera-Ausrüstung wiegt dann doch zu viel, um sie auf seinen Läufen in der Bergwelt mitnehmen zu können...
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